„Auf keinen Fall wegschalten“

Fast 30 Sender bedudeln Berlin. Fast 30 Sender versprechen mehr Abwechslung, mehr Beats oder mehr Cash. Die taz nahm sie beim Wort und drehte eine Runde durch die Berliner Radioskala

VON NICOLE WELGEN
UND STEFFEN GRIMBERG

„Wir machen gleich im Talk ’ne schwarze Liste mit Kosenamen, die nie und nimmer an die Öffentlichkeit dürfen“, plappert’s munter auf Fritz (102,6). Und weil wir bei der Jugendwelle des RBB gelandet sind, gibt’s natürlich Background: Eine US-Studie habe ergeben, dass die „Verwendung kindischer Kosenamen im Beisein Dritter“ einer der häufigsten Gründe ist, warum Beziehungen in die Brüche gehen. Wow. Dann doch lieber Musik. Solche, die sonst keiner bringt.

Hinter Fritz wird’s cool. Jazz-Radio cool (101,9). Hört man im Auto beim Parkplatzsuchen. Oder beim Abwaschen. Dummerweise leidet der Minisender wie das benachbarte Klassik-Radio (101,3) darunter, dass anscheinend niemand mehr richtig Jazz oder Klassik hören will. Weshalb sie sich zu dieser mittäglichen Zeit mit Easy Listening und Musical-Lala behelfen. Wortbeiträge gibt’s ohnehin nur zur vollen Stunde.

„Don’t pay the Ferryman, before he gets you to the other side“, dudelt’s auf Hundert,6. Ist vielleicht der eigene Geschäftsführer gemeint? So von wegen Rückübertragung der Lizenz (taz berichtete) des an HörerInnenschwund leidenden Senders. Die Moderatorin jedenfalls preist die Andrew Sisters als „erste Girl Group überhaupt“. Ein Sender am Rande des Nervenzusammenbruchs auf Stimmenfang im Altersheim?

Wie nennt man die Mischung aus „Flippers“, „Rosenstolz“ und „Mull of Kintyre“? – „Ausgewogen“, sagt ein Anrufer und bekommt zur Strafe einen DVD-Player. Antenne Brandenburg (99,7) kann sich’s leisten. Der öffentlich-rechtliche Kanal ist der zweitmeistgehörte der Region.

„Damit ist es 12.46 Uhr – die dicksten Beats, die schwersten Jungs, der fetteste Mix“. Die Musik klingt allerdings schwer nach Ersatz-HipHop. Aber Kiss FM (98,8) kann noch blöder, wie sie mit ihrer „Titte, melde dich“-Aktion (nackte Hörerinnenbrüste im Internet) locker gezeigt haben. Nur die Hörer sind noch blöder: Der Marktanteil steigt.

Das Paradies liegt gleich daneben. Radio Paradiso (98,2) hat die am besten gelaunte Moderation. Sind die beim kommerziellen Kirchenfunk alle auf Weihrauch oder was? Und was hat es mit der Werbung für Wasserbetten auf sich? Kann man da drüberlaufen?

Plötzlich ganze Sätze auf 97,7 und so schwere Worte wie „Tsunami“. Der Deutschlandfunk informiert nach der „Internationalen Presseschau“ und ein bisschen Fahrstuhl-Muzak über Kracher wie „Fabrikverkauf im schwäbischen Metzingen“.

Aber da waren wir schon längst beim Verkehrshinweis auf der Frequenz 97,2. „Kantstraße“ ging noch, der Rest war Russisch. Das internationale World Radio Net sendet hier im Wechsel mit dem Offenen Kanal. Gleich dahinter, gestern aber im sechsten Stock des taz-Baus kaum zu empfangen: Radio Multikulti (96,3) Orientalisches, überlagert von dezentem Rauschen. Genau wie bei Metropol FM.

Beim nächsten Ton endlich die Frau des Tages: Marion Caspers-Merk. Drogenbeauftragte. Redet über Jugendliche und Rauchen. Dabei sind die bei Radio Eins (95,8) alle schon erwachsen. Sollte sich lieber mal um Radio Paradiso kümmern.

„Kaum kommt die Sonne raus, sind auch wieder Pollen in der Luft.“ Der Mix macht’s eben – so wissenschaftlich exakt kann Privatradio sein. Nur schade um die Musik („80er, 90er und das Beste von heute“): „Self Control“ von Laura Branigan geht nun echt nicht mehr, 94,3 r.s.2.

„… Kettchen mit Blink-blink, weil du an mich geglaubt hast“. Und noch ’n „tighter tip“ gefällig? „Voll krass, jetzt wird das bestimmt gelöst.“ Jedenfalls, wenn genügend Menschen für 49 Cent anrufen, um die 300 Euro beim Jam FM (93,6) Cash-Call zu gewinnen. So schlappe 600 Anrufe sollten’s allerdings schon sein, sonst macht der Sender voll krass Miese. Und dann ist Schluss mit „the finest in Black Music“. Doch weil ständig Cash-Call ist, kann man die ja eh nicht hören. Dafür schon wieder Frau Caspers-Merk: „Weniger Drogentote, weniger Alcopos – dafür mehr Kiffer“ (RBB-InfoRadio 93,1). „Der Kiffer kifft und trinkt nicht“ sei passé. Jetzt säuft er auch, wie alle anderen.

Wo bleibt da die Kultur? „Jetzt kommen wir hier rein ins Theater. Sieht aus wie in einer Tiefgarage, nur eben im zweiten Stock.“ Tscha, Kulturradio (92,4), da waren wir dann doch ganz schnell wieder weg.

Zu unserer Musik. Unserer Stadt. Unserem Sender. Berliner Runddudelfunk (91,4). Weil du als Einziger mittags um eins „Morning has broken“ spielst. Oder warst am Ende du das – „Unser Berlin und einfach tolle Musik“- Stadtradio 88,8? Zum Headbangen in der Mittagspause noch rasch bei RockStar FM (87,9) reingehört. Endlich passt mal die Musik zum Namen.

Am anderen Ende der Skala macht auch BB-Radio (107,5) Cash-Calls. Hier heißt es nur „Knacken Sie das BB-Bargeldgeräusch“. Was kann Radio doch für ein sinnliches Medium sein. Die volle Vielfalt eben.

Motor FM (106,8) ist noch relativ neu (Sendestart war im Februar), hat nichts mit Autos zu tun und sogar einen Auftrag. Eigentlich sollen hier 50 Prozent deutsche Titel laufen, doch dazu kam es beim gestrigen Reinhören zum Glück nicht.

Seichte Lala und ein Top-Comedian namens Willy Astor („Hält der polnische Arzt deinen Blinddarm hoch und sagt: Danke, war schau“). Spreeradio (105.5) droht mit den größten Songs aus fünf Jahrzehnten, RTL 104,6 mit „mehr Abwechselung, weniger Wiederholung“, und alle, alle klingen gleich.

Bis auf Joy FM (104,1). Joy FM klingt nur noch blöde. „Starnews mit Stevie“ – wer hört so was? Vielleicht die ängstliche „Läster-Schwester“ auf Energy 103,4: „Auf keinen Fall wegschalten. Wir spielen Hit-Music. Jetzt!“