KRÖTENWANDERUNG
: Ein Tunnel wäre gut

Vielleicht hält er mich für einen Polizisten

Er liegt bäuchlings mitten auf der Fahrbahn, alle vier Gliedmaßen von sich gestreckt wie eine Kröte, die eine Straße überquert, um ihren Laichplatz auf der anderen Seite aufzusuchen. Autos drohen den Bestand zu dezimieren – das gilt nicht nur für Kröten, sondern auch für betrunkene englische Touristen. Ein Tunnel wäre gut an dieser Stelle.

Ganz Naturschützer, wuchte ich den Mann zum Bürgersteig. Was er da mache, forsche ich ergebnislos, und ob er sein Hotel kenne? Er quakt Unverständliches. Ich insistiere: Im Übrigen sei es gefährlich, auf der Straße zu schlafen. Eher versehentlich ist mir der Tonfall ein wenig schärfer geraten, und genau das zeitigt auf einmal Wirkung.

Vielleicht hält er mich mit meinem grünen Fahrrad auch für einen Polizisten. Er knallt geradezu die Hacken zusammen. Schmächtig wirkt er nun nicht mehr nur körperlich. Was für ein zusammengefaltetes Würstchen. Ich zeige auf eine kleine Grünanlage zwischen den Wohnblocks. Dort solle er von mir aus seinen Rausch ausschlafen, Hauptsache, er sei von der Straße runter. Die Nacht ist warm – so etwas hat mir früher auch nie geschadet.

„Don’t never ever fall asleep in the middle of the road again“, exhumiere ich mein Schulenglisch. Mit gesenktem Kopf macht er gehorsam ein paar Schritte in Richtung Rasen. Wie leicht das auf einmal geht. Quasi aus dem Nichts taucht plötzlich eine stämmige Frau auf, deutlich jünger als er und Engländerin auch sie. „Sorry, I’m so sorry – he’s totally drunk“, gellt sie schon von Weitem. „Oh, I’m so fed up with him“, nimmt sie das geknickte Krötenmännchen in Empfang. Ob sie nicht gesehen habe, dass er mitten auf der Straße lag? „I really don’t care“, beteuert sie wütend. Es hört sich glaubhaft an, erst recht, als sie jedes der drei abschließenden Worte deutlich betont: „I saw it!“

ULI HANNEMANN