Die Geißel der Linken

Victor Farías, Literaturprofessor an der Berliner FU, hat ein Buch über Salvador Allende geschrieben. Ergebnis: Die Ikone der Linken war ein Rassist. Eine Begegnung mit dem Denkmalstürzer Farías

VON ARIEL MAGNUS

Das Zimmer von Victor Farías im Lateinamerika-Institut der Berliner FU liegt im zweiten Stock, links. Klein und quirlig wie Farías selbst entspricht die Stube in ihrer Einrichtung dem politischen Erbe der Institution, die sie beherbergt: Lenin und Marx stehen auf den Regalen, ein Poster des chilenischen Linken Clotario Blest hängt neben der Tür, Bilder von Chaplin und Woody Allen bedecken die Pinnwand. Und doch ist der aus Chile emigrierte Historiker und Literaturdozent, bekannt für sein Buch „Heidegger und der Nationalsozialismus“ (deutsche Fassung 1989, Vorwort von Jürgen Habermas), seit langem kein Linker, sondern vielmehr eine Art Geißel der Linken geworden. Seine monumentale Geschichte der chilenischen Linken (1969–1973), eine (bis dato) sechsbändige Ansammlung von unangenehmen Dokumenten und Akten, die linke Verlage 25 Jahre lang nicht veröffentlichen wollten, und seine Studie über „Die Nazis in Chile“ (2002), in der Salvador Allendes (1908–1973) seltsame Weigerung, den Nazi-Verbrecher Walter Rauff an Simon Wiesenthal auszuliefern, mit entsprechenden Dokumenten angedeutet wird, wurden von seinen ehemaligen GenossInnen nicht gerade mit Entzücken aufgenommen. Umso mehr gilt dies für sein soeben auf Spanisch erschienenes Buch „Salvador Allende. Antisemitismus und Euthanasie“, wo Allendes antisemitische Doktorarbeit zur Erlangung der ärztliche Würde und seine als Gesundheitsminister (1939–1941) vorgelegten Gesetzentwürfe zur Zwangssterilisation von Geisteskranken als Vorgeschichte eingeführt werden, um die Rauff-Affäre nachvollziehbar zu machen.

„Nicht, dass ich mein Trikot gewechselt habe, das Stadion selbst ist verschwunden“, meint der 65-Jährige. „Und wenn man mich in die rechte Ecke schieben will, dann zitiere ich Lenin: Wenn du nicht die Hälfte plus eins des Volkes und des Militärs auf deiner Seite hast, dann ist der Versuch einer Revolution kein Fehler, sondern ein Verbrechen. Und solch ein Verbrechen haben wir in Chile verübt.“

Herr Farías, wo würden Sie sich dann selbst politisch einordnen?

Victor Farías: Wenn man aus einer ideologischen Perspektive schreibt, dann werden Fakten verfälscht. Ich möchte einen Spiegel liefern, in dem man sich sehen und entdecken kann „Huch, da hängt Rotz“.

Kann man bei politischen Dokumenten neutral bleiben?

Es ist, wie wenn du zum Zahnarzt gehst. Da wird nicht gefragt, ob er ein Konservativer oder ein Progressist ist, sondern der Zahn wird einfach gezogen.

Ein etwas naiver Vergleich …

Mit einem Messer kannst du essen oder jemanden zerfleischen. Dasselbe gilt für die Bücher. Ich kenne Linksextremisten, die über mein Buch froh sind. Die sagen, sie wussten, dass bei Allende was faul war. Mit einem Buch kann man fast alles machen. Aber niemand kann behaupten, dass ich ein Faschist bin. Und heute ist das schon viel verlangt.

Bis jetzt schweigt die Linke über Ihr Buch. Warum?

Die können nichts sagen, weil sie mitverantwortlich sind. Sie sind zwar keine Täter, das war Pinochet, ein Krimineller. Aber wer hat denn die Leute angefeuert, ohne Waffen, ohne politische Konzepte und ohne Strategie? Mao sagte, bevor man einen Schritt macht, muss man die vorigen sechs und die nächsten sechs kennen. Und diese Typen wussten nichts.

Die Schriftstellerin Isabel Allende, Salvadors Nichte, meint, Allende konnte Rauff nicht ausliefern, denn der Gerichtshof hätte schon dagegen gestimmt gehabt.

Isabel verwechselt ein juristisches Verfahren mit einem Verwaltungsakt. Simon Wiesenthal, der die Auslieferung beantragt hat, wusste natürlich von diesem juristischen Hindernis. Doch Allende hätte ebenso gut diesen gefährlichen Bürger abschieben können. Witzig ist darüber hinaus, dass Isabel jetzt einen rechten Historiker gegen mich aufhetzt, der die Ermordung ihres Vaters (Tomás Allende) damals angestiftet hatte. Der soll Salvador Allende in Schutz nehmen. Sie macht dasselbe wie ihr Onkel mit Rauff.

Dieser Historiker und andere meinen, die rassistischen Ideen des jungen Allende seien damals sehr verbreitet gewesen.

Dass es viele Rassisten gibt, bedeutet doch nicht, dass sie am Ende doch keine sind. Außerdem sind Eugenisten bekanntermaßen nicht mit den Nazis gleichzusetzen. Die Eugenisten teilen die Menschen in Schwarze, Gelbe und Weiße ein, nur die Nazis machten den Unterschied zwischen Ariern und Juden. Und davon gab es nur wenige, die von einer genetischen Vorbestimmung ausgingen, wie es eben Allende macht. Das waren die Schlimmsten.

Und was nun? Wollen Sie als Nächstes die Schriften des jungen Che Guevara untersuchen?

Nein, im Moment studiere ich die Telegramme, die kurz vor dem Putsch 1973 intern gesendet wurden. Es sind mehrere Kilometer Papier. Und was für Sachen man dort entdecken kann! Danach kehre ich nach Chile zurück.