Nein zum Spiel der Trennung

POSTKOLONIAL Am Wochenende fand im Haus der Kulturen der Welt eine Konferenz zu dem umstrittenen Begriff des Animismus statt. Einer der Teilnehmer war der nigerianische Kulturwissenschaftler Harry Garuba

Wie die kolonialistische Trennung zwischen „modern“ und „primitiv“ war auch der Begriff „Animismus“ lange verpönt

Harry Garuba spricht ruhig und relativ leise. Der Literatur- und Kulturwissenschaftler von der Universität Cape Town wirkt entspannt und ist höflich. Interessiert guckt er den Touristen zu, die auf Schiffen auf der Spree neben dem Haus der Kulturen der Welt vorbeifahren. Garuba nahm dort an der Konferenz „Animismus“ teil, die zur Eröffnung der gleichnamigen Ausstellung angesetzt war.

„Animismus“ ist ein hart umkämpftes Konzept. Es bezeichnet ein religiöses Bewusstsein, das Gegenständen eine Seele zuspricht. Der Anthropologe Edward B. Tylor prägte den Begriff im 19. Jahrhundert, um religiöse Praktiken sogenannter primitiver Kulturen zu umschreiben. Wie die kolonialistische Trennung zwischen „modern“ und „primitiv“ war auch der Begriff „Animismus“ lange verpönt.

Die Ausstellung versucht dagegen, dem Begriff neues Leben einzuhauchen, und fragt, was er für unsere heutige Welt bedeutet. In Videos und Installationen untersuchen Künstler wie Hans Richter und Daria Martin unser Verhältnis zu Natur und Technologie.

Harry Garuba wurde 1958 in Edo in Nigeria geboren und lehrte lange Jahre an der Universität von Ibadan. 1998 ging er nach Südafrika, wo er inzwischen das Zentrum für Afrika-Studien leitet. Animistische Praktiken kennt er aus nächster Nähe durch seine Jugend in Nigeria. „Dort aufzuwachsen gibt einem die Möglichkeit, eine doppelte Wahrnehmung zu entwickeln“, sagt er. In einer Straße praktizieren oft Ärzte und Medizinmänner Tür an Tür. Je nachdem, was für eine Krankheit ihre Patienten haben, entscheiden diese sich, zu wem sie gehen. Beide, Arzt und Medizinmann, können zur Genesung beitragen, davon ist Harry Garuba überzeugt. Mit dem Unterschied, dass die eine Behandlungsmethode anerkannt ist und die andere nicht.

Mit der Wiederverwendung des Begriffs „Animismus“ plädiert Garuba für die Akzeptanz nichtrationalistischen Wissens. „Obwohl Animismus begrifflich missbraucht wurde, müssen wir anfangen, anders darüber zu denken.“ Als Literaturwissenschaftler untersucht er, wie animistische Praktiken das moderne Afrika bestimmen und wie dies in Texten zum Ausdruck kommt.

Bei der Expertenrunde auf der gut besuchten Konferenz wird hervorgehoben, dass diese Art von Bewusstsein auch in der westlichen Gesellschaft vorhanden ist. Nennen wir zum Beispiel eine Person schizophren, bedeutet es, so die Experten, dass ein Teil ihrer Persönlichkeit nicht ins rationalistische Weltbild hineinpasst.

Das animistische Bewusstsein trennt Garuba zufolge gerade nicht zwischen „modern“ und „primitiv“, sondern „verweigert sich, das Spiel der Trennung zu spielen“, wie er es immer wieder nennt. Animistische und rationalistische Praktiken werden in afrikanischen Gesellschaften häufig kombiniert, sagt Garuba. Für Medizinmänner sei es inzwischen nichts Ungewöhnliches mehr, bürokratischen Prozeduren zu folgen oder gelernte Krankenschwestern zu beschäftigen, die die Patienten unter Narkose stellen. „Am fruchtbarsten ist es, wenn es einen Dialog gibt.“

Ein Beispiel dafür ist die Geschichte eines Arztes im Senegal von 1970. Auf der Konferenz wird seine Geschichte von Gabriele Schwab (University of California, Irvine) vorgetragen. Der Arzt hatte auf dem Gelände seiner Klinik kleine Hütten gebaut, damit sich seine Patienten mit traditionell Genesenden treffen konnten. Es stellte sich heraus, dass die Besessenheit durch einen Geist für sie den gleichen Effekt hatte wie ein Elektroschock. Der Arzt fragte sich, wie er diese Praktiken in seine konventionelle Behandlung einbauen könnte.

Garuba: „Das sind Wissensformen, die miteinander reden.“ Er lächelt und guckt über die Spree.

JOSTA VAN BOCKXMEER