Der Renner mit dem Guttenberg

Die Schlammschlacht beginnt. Das ist kein Satz von Kontext, sondern von Andreas Renner, der OB von Stuttgart werden will. Der CDU-Mann hat in seiner Vita einen falschen Titel geführt und flugs den Staatsanwalt an der Backe gehabt. Aber halt: der „Abschussversuch“ wie im Fall Guttenberg ist nicht alles. Renner spricht auch über S 21, seine Bischofsbeleidigung und seine Gegenkandidaten. Die CDU nominiert ihren Kandidaten am 17. März.

Andreas Renner im Gespräch mit Josef-Otto Freudenreich

¿Herr Renner, sollen wir Sie jetzt als Master of Governmental Management ansprechen?

So ein Schwachsinn. Das ist ein durchsichtiger Diskreditierungsversuch und wohl Teil einer beginnenden Schlammschlacht. Man will mir den Plagiator Guttenberg anhängen, aber das wird weder gelingen, noch liegt ein solcher Tatbestand vor.

Dann erklären Sie mal, was es mit dem Titel auf sich hat. Immerhin prüft die Stuttgarter Staatsanwaltschaft.

Das muss sie. Der sogenannte Titel stammt von einem Vortrag, den ich auf Englisch gehalten habe. In meiner Vita taucht dort jener Master auf, den mir ein Übersetzer reingeschrieben hat, weil er der Meinung war, dass sich kein Mensch etwas unter „Führungsakademie des Landes Baden-Württemberg“ vorstellen kann. Es war mein Fehler, darauf nicht geachtet zu haben.

Aber nun taucht er in Renner-Flyern auf.

Nochmals: es war ein blöder Fehler, den wir sofort korrigieren werden. Ich habe den Besuch der Führungsakademie nie als Titel verstanden, und ich führe auch keine. Oder sehen Sie auf meiner Visitenkarte den Ex-OB oder den Exminister? Im Übrigen hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren „wegen zu geringer Schuld“ eingestellt.

Nun denn, ein Fehler also. Lenken wir den Blick mal auf den Fahnenmast vor Ihrem Singener Haus. Hängt das Stuttgarter Rössle schon dran?

Im Moment hängt Europa dran. Das hat es am nötigsten. Für alle Fälle habe ich noch eine Baden-Württemberg-Fahne, das ist die Brot-und-Butter-Beflaggung. Über Fasnacht habe ich die Zunftfahne der Singener Boppele herausgeholt, und an Nationalfeiertagen hängt Schwarz-Rot-Gold. Ein Rössle fehlt noch.

Da fehlt wohl noch die Affinität. Wir hören, eigentlich wollten Sie lieber OB von Konstanz werden.

Nur weil ich mal in Konstanz studiert habe und meine Frau lieber bliebe? Nein. Richtig ist, dass ich gefragt worden bin. Und richtig ist auch, dass Konstanz eine fantastische Stadt ist mit einem Rathaus 300 Meter vom See. Gewiss ein tolles Amt. Aber wenn Sie Anfragen aus Stuttgart bekommen, dann hat das natürlich seinen ganz besonderen Reiz.

Alle wollen Renner?

Es gibt einen einflussreichen Menschen in der Stuttgarter CDU, der mich vor eineinhalb Jahren gebeten hat, darüber nachzudenken, ob ich Schuster beerben will.

Es war aber nicht der CDU-Kreisvorsitzende Kaufmann.

Den Namen werde ich hier nicht nennen.

Warum ist der einflussreiche Mensch gerade auf Sie gekommen?

Er meinte, dass ich die notwendige Urbanität habe, eine liberale CDU verkörpere und nicht der typische Politiker sei, wie die meisten Bürger ihn vor Augen haben. Ich bin eben ein bisschen anders als die meisten.

Wegen des Brillis im Ohr?

Der ist schon lange draußen. Ich wollte für die Bild-Zeitung nicht immer der Brilli-Minister sein.

Was hat Sie jetzt zum Jasagen bewogen?

Zum Jahreswechsel 2011 habe ich noch erzählt, ich sei mir nie so im Unklaren darüber gewesen, was im nächsten Jahr passieren wird. Dann gab's die Präsentation von Sebastian Turner und eine Vielzahl von Leuten, die auf mich zugekommen sind und mich gebeten haben zu kandidieren.

Nun aber Namen.

Da gab es einige. Unter anderem Gerhard Mayer-Vorfelder, von dem ich es nicht erwartet hätte. Der frühere Landesschatzmeister Wolfgang Fahr, der ehemalige Bankmanager Walter Zügel, die einstige Kultusministerin Marianne Schultz-Hector, die Junge Union. Alles Persönlichkeiten, die mich lange kennen. Damit war ich gezwungen, eine Entscheidung zu treffen, wohl wissend, dass bereits das Nominierungsverfahren sehr anstrengend sein würde. Sie sind sieben Wochen im Vorwahlkampf. Das ist zermürbend. Aber je länger es geht, umso unschöner wird es. Das ist eine alte Erfahrung.

Kein Mitleid.

Das ist auch nicht nötig. Ich will nur sagen, dass Sie eine solche Entscheidung nicht zwischen Tür und Angel treffen. Man muss immer den Worst Case mitdenken: dass man tatsächlich gewählt wird. Das heißt, dass ich aus einer Nische, in der ich gut gelebt habe, heraustrete und mein Leben noch einmal komplett ändern muss. Ich bin dazu bereit, weil ich Stuttgart mag, gut kenne und für die Bürgerinnen und Bürger etwas erreichen kann und weil ich glaube, dass ich die Wahl gewinnen kann.

Mit einer CDU, die Sebastian Turner als „Sauhaufen“ in Erinnerung hat.

Das ist nicht meine Wortwahl. Ich glaube auch nicht an die These der Lager Teufel-Oettinger. Die sind aufgelöst. Ich konnte immer mit allen reden, obwohl ich ein Freund von Günther Oettinger bin. Das wird doch wohl möglich sein.

Und warum fährt der Kreisvorsitzende Kaufmann zu Annette Schavan, um anschließend den Kandidaten Turner aus dem Hut zu zaubern?

Das ist sein gutes Recht. Jetzt habe ich einen Gegenkandidaten vom Establishment, und ich bin der Mann des Volkes. Das ist doch nett.

Der „Mann des Volkes“ in der „Hauptstadt des Widerstands“. Da freuen wir uns schon drauf.

Städte verändern sich immer. Eine Stadt ist immer die Unvollendete. Sie muss sich immer neu erfinden. Durch Stuttgart 21 hat dieser Prozess einen zusätzlichen Schub erfahren, man könnte auch sagen: Gräben aufgerissen, die so nicht hätten sein müssen. Aber der Volksentscheid hat nun mal ein eindeutiges Ergebnis gebracht, das Wunden nicht heilt, aber das den Kitt bildet, aus dem eine bürgerliche Zufriedenheit zu formen ist.

Sie erlauben den Zweifel.

Wir müssen das Ding einfach zu Ende bringen. Einer wie ich, der von außen kommt und emotional nicht so verstrickt ist, kann sagen: Jetzt ist der Fisch geputzt und jetzt wird gebaut, und zwar schnell. Und wir gucken aufs Geld. Der OB muss in diesem Verfahren die moralische Instanz sein. Er muss die Bürger mitnehmen und beteiligen.

Wohin und woran?

Die Stadt bietet ein fantastisches Szenarium für die Zeit danach. Sie hat die einmalige Chance, ihr Herz neu zu erfinden. Die gibt's nur alle fünfzig Jahre und nirgendwo sonst in Deutschland. Nehmen Sie das Gerberviertel, die Lautenschlagerstraße und die hundert Hektar frei werdendes Gelände, womit ich eine neue Innenstadt formen kann. Und das Salz in der Suppe sind die politischen Verhältnisse. Die sind aufregend und anregend.

Das sagt Winfried Kretschmann auch – und kriegt ständig Feuer.

Ich bin zum einen politisch nicht unbeleckt, zum andern bin ich im Gegensatz zu Kretschmann nicht Erst- und Zweittäter. Ich habe die Freiheit, unbefangen in die Gemengelage einzusteigen. Dass es Leute gibt, die ich nicht abholen kann, ist auch klar. Aber wichtig ist, dass ein OB offen und optimistisch an die Aufgabe herangeht. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass ich das schaffe. Ich lasse mich nicht kleinkriegen.

OB Schuster musste bisweilen durch den Hinterausgang entweichen.

Schuster war Beteiligter in diesem Verfahren, jetzt ist Kretschmann der Böse. Aber das Thema ist durch, sorry, und damit fertig. Jeder, der nun neu kommt, wird vielleicht angefeindet, aber er hat in dieser Frage klare Mehrheiten hinter sich. Dass es Leute gibt, die fanatisch sind, ist mir bewusst. Soll ich deshalb jemandem das Feld überlassen, der's überhaupt nicht kann?

Sie glauben wirklich, Sie würden als quasi neutraler Kandidat wahrgenommen?

Natürlich nicht. Ich bin seit dreißig Jahren in der CDU. Selbst wenn ich nicht in der CDU wäre, hätte ich den Stempel eines Parteikandidaten, wenn ich mich diesem Verfahren aussetze. Man darf aber auch in der Lage sein, über Parteigrenzen hinweg zu denken. Ich bin kein Spalter.

Sondern der Bischofsbeleidiger und der S-21-Fan.

Es wird niemanden geben, der nie einen Fehler gemacht hat. Für meinen Fehler habe ich gebüßt, mit einer Höchststrafe, die ich freiwillig angetreten habe. Ich bin in den letzten Jahren nicht durch Brandreden für S 21 aufgefallen. Ich habe mich nur überzeugen lassen, dass es für die Stadt und das Land wichtig ist, einen Durchgangsbahnhof hinzubekommen. Ich bin in dieser Geschichte völlig rational.

Als Sie anno 2006 Bischof Fürst geraten haben, erst einmal selber Kinder zu zeugen, bevor er Ihre Schirmherrschaft beim Christopher Street Day kritisiert, war das weniger rational.

Wir sind heute sechs Jahre weiter. Es war ein Gespräch zwischen drei Leuten. Sorry, aber wenn ich höre, was andere in öffentlichen Versammlungen sagen, bin ich dagegen ein Waisenknabe. Aber das wird mir heute nicht mehr passieren.

Also alles prima zwischen Renner und der katholischen Kirche.

Ich bin Katholik, zahle Kirchensteuer, und in meiner Kirche gibt es so etwas wie Vergebung. Natürlich war das damals schmerzhaft. Wenn Sie ein politisches Amt niederlegen, in dem Sie sauber geschafft haben, und dann Opfer Ihrer eigenen Emotionalität werden, dann tut das weh. Aber gehen Sie davon aus, dass ich das verkraftet habe und offen damit umgehen kann. Zwischenzeitlich ist auch in der katholischen Kirche einiges passiert. Ein Bischof ist noch keine Kirche.

Damals soll Stefan Mappus die Strippen gezogen haben.

Wird immer wieder behauptet, habe ich nie gesagt. Und das werde ich auch heute nicht tun. Manche Dinge muss man einfach so stehen lassen.

Also zurück ins Hier und Jetzt. Was bringt Renner den Stuttgartern?

Eine Qualitätsoffensive in allen 23 Stadtbezirken. Stuttgart ist in vielen Bereichen spitze, jetzt muss es in der Breite spitze werden. Wir können den Menschen nicht mehr Vier-Milliarden-Euro-Projekte verkaufen, wenn es in die Schulen reinregnet. Sie definieren heute Heimat anders. Sie sind nicht Stuttgarter, sondern Zuffenhäuser, Sillenbucher, Hedelfinger oder Cannstatter. Das ist ein neuer Kosmos, und das ist eine meiner wesentlichen Aussagen im Wahlkampf. Sie wollen ein gutes Wohnumfeld, guten Nahverkehr, gute Nahversorgung und gute Betreuungsinfrastruktur. Das gilt für Junge wie für Alte.

Das könnte wahrscheinlich sogar die Linke im Rathaus unterschreiben, die womöglich mit eigenem Kandidaten antritt.

Wenn Sie Oberbürgermeister werden wollen, müssen Sie alle anderen schlagen. So einfach ist das. Stuttgart ist halt eine hochpolitische Stadt, hier finden keine Sandkastenspiele statt. Das ist tägliche Realität, jeder Tag ist eine neue Herausforderung. Damit wird die Stadt aber nicht unregierbar.

Und jetzt kommt noch der grüne Kuhn. Ein politisches Schwergewicht, heißt es.

Darüber gibt's unterschiedliche Auffassungen. Manche sagen sogar: Den kann jeder schlagen. Der Meinung bin ich nicht. Kuhn ist ein ernst zu nehmender Gegner. Ich kenne ihn schon lange, habe allen Respekt vor ihm, aber ich kann ihn schlagen.

Turner nannte im Interview mit Kontext die eigene Partei Kuhns größtes Problem.

Wissen Sie, manchmal gibt es große Unterschiede zwischen theoretischen Analysen und praktischen Zusammenhängen. Am Ende sollte sich jeder im Klaren darüber sein, dass die Grünen, so gespalten sie in der Frage S 21 sein mögen, ihre Potenziale mobilisieren können. Wer glaubt, dass sie sich in dem Wahlkampf selbst zerlegen werden, zum Spaß der anderen, der kennt den Kuhn schlecht. Er hat die Integrationskraft. Ich würde mich eher darauf verlegen, die bürgerlichen Grünen und Roten zu gewinnen. Davon 20 Prozent plus die eigenen Stammwähler, dann haben sie gewonnen. Aber generell gilt, dass gewählt wird, wem man am meisten zutraut und von dem man sagt: Des isch der sympathischste Kerle.

Fritz Kuhn ist der Hauptkonkurrent?

Im Moment ja, weil es noch keinen Sozialdemokraten gibt. Aber da wird jemand kommen. Wenn die Sozialdemokraten in Stuttgart keinen Kandidaten bringen, geben sie Stuttgart komplett auf. Und das werden sie nicht tun. Man darf nicht verkennen, was die OB-Kandidatur für das Selbstverständnis einer Partei bedeutet. Sie braucht eine ordentliche Figur, um nach außen und innen zu zeigen, dass sie ihren Auftrag ernst nimmt und vor Ort präsent ist. Kurz nach der OB-Wahl ist die nächste Bundestagswahl, das Jahr darauf sind Kommunalwahlen. Da kann ich doch nicht sagen, wir haben einen Koalitionspartner, der kann das mal mitmachen.

Sie wollen allen Ernstes Ihren schlauen Job bei der EnBW aufgeben, um in diesen Kampf zu gehen?

Wenn Sie die Verantwortung annehmen, kann das auch belastend sein. Ich hatte Zeiten, in denen ich von der Last schier erdrückt worden bin, aber dann habe ich gelernt, damit umzugehen. Entscheidend ist, jeden Tag etwas Zufriedenheit aus der Arbeit ziehen. Seitdem ich das kann, verkörpere ich die Lust, nicht die Last.

Und dann kommt der Machtkick dazu.

Ich bin in einem Alter, in dem das nicht mehr so wichtig ist. Wenn man den vernünftigen Umgang damit nicht lernt, scheitert man im Amt. Bei Stefan Mappus war der Machtkick vielleicht a bissle zu groß.

In den fünf Jahren bei der EnBW haben Sie echt nichts vermisst?

Wenn ich etwas wirklich nicht vermisst habe, dann waren es solche Gespräche. Jeder Tag, an dem ich nicht in der Zeitung stehe, ist ein guter Tag.

Andreas Renner (52) stammt aus Stockach, studierte in Konstanz Verwaltungswissenschaften und durchlief als Beamter Stationen beim Landratsamt Ludwigsburg, beim Regierungspräsidium Stuttgart und ab Juni 1991 beim Wirtschaftsministerium. Danach besuchte er die Führungsakademie des Landes Baden-Württemberg. 1993 wurde er OB von Singen und 2005 Sozialminister. Nach der Bischofsaffäre trat er im Januar 2006 zurück und wechselte als Lobbyist zur EnBW. Seit 1992 gehörte Renner dem Bundesvorstand der CDU an.