Der Bombentag

500 Kilogramm Sprengstoff jagen eine Dame aus dem Haus und auch wieder hinein

Am 2. Mai wurde in Hamburg eine Bombe gefunden. In der Morgenpost stand am nächsten Tag, dass es eine Bombe von 250 Kilogramm gewesen ist, in der Bild-Zeitung war von 500 Kilo die Rede. Damit war dann auf jeden Fall klar, dass es sich nicht um ein Selbstmordattentat handeln konnte.

Mittags, so der NDR, hatten Arbeiter eine Fliegerbombe der Tommies aus dem Zweiten Weltkrieg ausgebuddelt, deren Zünder verschmutzt war und die deshalb erst „mit einem Hammer“ (O-Ton) gereinigt werden musste. Da raffte ich die nötigsten Dinge zusammen – Zahnbürste und Back-up von meinem Notebook – und wanderte zu einer Bekannten am Schulterblatt aus. Dann fiel mir ein, dass ich ihr Geburtstagsgeschenk vergessen hatte und wollte zurück. Da kamen mir aber schon sehr angeregt meine Nachbarn entgegen, die evakuiert worden waren und sich in Restaurants oder Kinos verpissten.

Also wieder retour. Das gestaltete sich etwas problematisch, weil inzwischen alle Straßen gesperrt worden waren. Eine Polizistin ließ mich aber durch die Lerchenstraße aufs Schulterblatt; ich solle aber „zumachen“, sagte sie. Ich machte also zu und rannte bis zur „Taverna Romana“ und dann zum „Olympischen Feuer“ rüber, bis zwei Bullen mir nachriefen: „He, die Dame, die da rennt, wo wollen Sie hin?“ Irgendwie kam mir die Verszeile in den Kopf: Sie geht vielleicht mit frechem Schritte / inmitten durch der Griechen Mitte, wobei mir das „sie“ und das „inmitten“ nicht ganz richtig vorkamen, aber wer kann in so einer Situation schon Gedichte richtig aufsagen? Die beiden ließen mich dann aber doch weiterkeuchen, bis ich wieder bei der Bekannten ankam.

Als ich später Torsten anrief, sagte er: „Und? Hast du nicht gleich gerufen: deutsche Polizisten – Mörder und Faschisten?“ Ich hatte aber mit dem Schiller-Zitat schon genug zu tun.

Bevor ich allerdings das Haus der Bekannten betreten konnte, wollte mich ein Ausländer nicht durch das Tor lassen, das schon mit rotweißen Bändern dekoriert war: „Darfe du hier überhaupt rein?“ Diese Frage kam mir bekannt vor, nur irgendwie anders rum, aber er ließ mich dann doch durch die Bänder kriechen.

Während ich mit der Bekannten am Tisch saß und wir nebenbei Radio hörten, wo es Bomben-Nachrichten gab, aber auch Lieder wie „I had a dream“, quatschte ihr fünfjähriger Sohn ununterbrochen ins Telefon. Der telefoniere wahrscheinlich mit der Oma, sagte sie, das täte er öfter. „Ich gieb dir ma Mama“, sagte er irgendwann und reichte der Bekannten den Hörer, während er vorsichtshalber in seinem Zimmer verschwand. Sie erbleichte. „Hier ist die Feuerwehr“, sagte der Angerufene, „wir sind morgen zu einem Grillfest anlässlich Ihres Geburtstages eingeladen worden – sollen wir kommen?“

Einmal sind sie schon gekommen, aber zu spät, als der Bakalute, kurz bevor die Familie in Urlaub fuhr, alle Herdplatten eingeschaltet hatte.

Um 21.30 Uhr wieder zu Hause, checke ich meine Mails: Der Hammer! Oder besser gesagt: Die Bombe! Mir wird mitgeteilt, dass ich den Ben-Witter-Preis gewonnen habe. Ja super, brülle ich meinen Computer an, da kauft man dir so ein granatenteures Teil, das alle Spams wegmacht – und dann so was! Du kannst mich mal!

Wir duzen uns übrigens nur, wenn er ausfallend wird. Oder ich es werde. Dann ging ich schlafen. FANNY MÜLLER