der krieg ist aus: Orte im Wandel (3)
: Der Sportpalast wird zum Sozialpalast

Vor 60 Jahren begann in Berlin der Neuanfang nach dem Zweiten Weltkrieg. Die taz stellt Orte vor, die während der Nazi-Diktatur eine besondere Bedeutung hatten, und sagt, was aus ihnen geworden ist.

Schwierig, in Schöneberg etwas zu finden, das hässlicher ist. Ein Setzkasten aus Beton, in jedem einzelnen Fach Satellitenschüssel und Wäscheständer. Das Grau bleibt grau, auch wenn bunte Deckenflächen versuchen, die Tristesse zu durchbrechen. Rund 2.000 Menschen auf 17.000 Quadratmetern, sagt Siegfried Burchart, der Oberhausmeister. „Ich hab gar keinen Überblick mehr, wer hier gemeldet ist und wie viele tatsächlich bei uns wohnen.“ 514 Wohnungen hat der Sozialpalast. „Ja, Frau El-Malawi, ich kümmere mich um Ihre Heizung. Sie sind die Fünfte heute.“

1911 ist lange her. Damals durfte man noch träumen, das Wort Palast war keine schmerzhafte Ironie. Geburtsstunde einer Arena der Superlative. Meilenstein der Architektur. Sportpalast.

12.000 Sitzplätze, edle Tische, Kronleuchter. Eiskunstlauf, Sechstagerennen. Auch mal eine politische Rede. Kino. Max Schmeling und Bubi Scholz. Und „Krücke“, mit bürgerlichem Namen Reinhold Franz Habisch. Der legendäre Frontmann des Fanpöbels direkt unterm Dach. Der Mann, dessen rhythmisches Pfeifen das „Wiener Praterleben“ zum Sportpalastwalzer machte, zur Hymne der Halle. Das Publikum liebte den Song. 1933 wurde er verboten. Komponist Translateur war Jude und elf Jahre später tot. Ermordet in Theresienstadt.

Unter den Nazis wird der Sportpalast zur „Heimstätte der Bewegung“. Zum Propaganda-Labor der Besessenen. Goebbels spricht schon 1935 von der „großen politischen Tribüne“ und von dem „eigenartigen Fluidum“, das die Halle zu erzeugen vermag. Dann kommt der 18. Februar 1943. „Wollt ihr den totalen Krieg?“ Eine Mehrzweckhalle, von diesem Tag an kontaminiert durch eine einfache Frage. Mehr noch durch die fanatische Antwort der Masse. Der Sportpalast brüllt sein eigenes Todesurteil. Zwei Jahre später liegt er zerschossen und wehrlos am Boden.

Der König ist tot. Es lebe der König. Wiederaufbau. Noch einmal das volle Programm: Tanzen, Radeln, Singen, Pirouetten drehen und auf die Schnauze hauen. Die Massen sind wieder da und verlieren den Verstand, wenn die Helden der Nachkriegsgeneration ans Mikrofon treten. Ihre Namen: Jimi Hendrix, Mahalia Jackson und Pink Floyd. Randale beim Bill-Haley-Konzert. Rock ’n’ Roll. Das zweite Leben ist nicht lang. Endgültiges Aus am 31. März 1973.

Burchart ist noch drinnen gewesen. Eine Gedenktafel im kargen Innenhof des auf dem Grund des Sportpalastes errichteten Sozialpalastes erinnert an früher. Mehr nicht. Türkische Kinder spielen Fangen, aus dem Wettbüro in der Ladenzeile dringt Stimmengewirr an die schwüle Abendluft. Das Wort Sozialpalast nimmt Burchart nicht in den Mund. Reine Sprachakrobatik der Bezirksregierung sei das, „Wohnen am Kleistpark“ sei die korrekte Bezeichnung – auch nur ’ne Worthülse. Mag ja sein, dass Frau El-Malawi aus dem 7. Stock ein bisschen Grün erkennen kann. Von unten keine Chance.

Christo Förster