vorgelesen
: „Das große Köln-Lexikon“: Öffentliches Selbstbild des Kölner Klüngels

Fast 1.200 Artikel und hunderte Abbildungen – „Das große Köln-Lexikon“, „das erste Buch über Köln in lexikalischer Form, das wissenschaftlichen Ansprüchen und guter Lesbarkeit“ gerecht werden soll, kommt recht aufwändig daher. Der wissenschaftliche Anspruch ist allerdings von vornherein kastriert, indem es ein Lexikon für das „ehrwürdige Köln“ sein soll, so jedenfalls der Herausgeber Jürgen Wilhelm, Vorsitzender der Landschaftsversammlung Rheinland.

So findet man die meisten Artikel zum römischen, katholischen, karnevalistischen und etabliert kulturellen Köln – also zu allem, was zum vorzeitigen Ausscheiden der Stadt aus dem Wettbewerb um die Kulturhauptstadt Europas geführt hat. Die 50 Autoren kommen meist aus einschlägigen Institutionen (Erzbistum, Stadt- und Landesverwaltung, Universität, Museen) oder stehen, wie Ulrich Soénius, im Dienst der Kölner Wirtschaft. Der Direktor des Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchivs in Köln (RWWA), das zur Industrie- und Handelskammer gehört, hat als weitaus häufigster Autor des Lexikons mit weit über hundert – meist langen – Artikeln zu diesem Bereich fast alles allein verfasst.

Seine Plattitüden wie „Die wirtschaftliche Tätigkeit in einer Stadt unterliegt einem ständigen Wandel“ sind ungefährlich – freilich greift der Vielschreiber, wenn es ihm wichtig wird, zielsicher daneben. Dem DuMont-Verlag bescheinigt er, kein Monopol zu sein, der Kölner Illustrierten aus demselben Verlag sagt er nach, „begehrt als Informationsquelle“ zu sein. Dem Kölner Volksblatt unterstellt er dagegen „vielerlei persönliche Denunziationen“. Über die Kölner Woche berichtet er, dass sie vom „kommunistischen Blatt ‚Junges Deutschland‘“ ausgedacht worden sei – in Wirklichkeit wurde sie, von Kölner Autoren konzipiert, vom Verlag 8. Mai herausgegeben, zu dem die Tageszeitung Junge Welt gehört. Da hat der RWWA-Direktor in seiner bekannt wissenschaftlichen Objektivität etwas verwechselt. Im Gegensatz zu Soénius durfte der Kölner DGB-Vorsitzende Wolfgang Uellenberg-van Dawen gerade mal zwei Artikel beisteuern, zu SPD und DGB, während alle Artikel zur Arbeiterbewegung, Arbeiterwohlfahrt und Ähnlichem ebenfalls von Mitarbeitern des RWWA verfasst sind und sich das Qualitätssiegel Tendenzjournalismus verdienen.

So ganz in der Wirklichkeit ist das Lexikon auch sonst nicht angekommen. In Köln gibt es Türken, sogar lesbische und homosexuelle, erfährt man, aber Kurden, Griechen, Italiener, Marokkaner, Togolesen und andere scheinen wieder ausgewandert zu sein. Der Kulturkampf zwischen Kirchen und Preußen wird gewürdigt, Kulturvereine kommen nicht vor. Dem Katholizismus, der evangelischen Kirche und dem Judentum werden Artikel gewidmet, nicht aber dem Islam. Gewerkschaften sind kein Stichwort wert, während Gesellungsformen wie die Bürgergarde Blau-Gold, die Rosenkranzbruderschaft und die Deutsche Arbeitsfront ihren Platz haben. Als informativ fallen dagegen die Stadtteilporträts von Henriette Meynen auf, die kunst- und architekturhistorischen Artikel der früheren Stadtkonservatorin Hiltrud Kier, ebenso die Artikel von Klaus Schmidt zur evangelischen Kirche und zur jüngeren Geschichte (zum Beispiel über Politisches Nachtgebet, SSK, Geschichtswerkstätten und Bürgerinitiativen).

Als Sponsoren werden die Stadtsparkasse, RWE Rheinbraun, TÜV Rheinland Group, AM Generali Invest Kapitalanlagegesellschaft und der Heimatverein Alt-Köln genannt. Davon weicht das lexikalische Ergebnis kaum ab. Wer einige nützliche Informationen und vor allem einen guten Überblick über das öffentliche Selbstbild des etwas älteren und sich gemäßigt modernisierenden Kölner Klüngels sucht, ist gut (und teuer) bedient.

WERNER RÜGEMER

Jürgen Wilhelm (Hrsg.): Das große Köln-Lexikon. Köln 2005, Greven Verlag, 492 Seiten, Leinen, mit zahlreichen Abbildungen, 49,90 Euro.