Ruhe unter der Diskokugel

BED & BREAKFAST In Hamburg eröffnen immer mehr kleine, individuelle Unterkünfte – und in Zeiten schwankender Budgets finden sie ihren Markt unter Städtereisenden, die lieber günstiger reisen als seltener. Dafür lassen sich manche sogar auf den Hintern schauen

„Ein Hostel braucht Story, sonst überlebt es nicht. Individualität steht im Vordergrund“

SEBASTIAN HOFMANN, ST. PAULI LODGE

VON RABEA WILLERS

Das schmale, grau verputzte Haus in einer Wohngegend zwischen Altona und St. Pauli hebt sich höchstens durch die goldenen Schnörkel, mit denen die Fassade verziert ist, von seinen Nachbarhäusern ab. Rechts daneben ist ein Fahrradverleih, links daneben ein Wohnhaus. Über der Eingangstür des Hauses prangt in pink „St. Pauli Lodge“. In diesem unscheinbaren Gebäude können Hamburg-Besucher ab 48 Euro ein Zimmer beziehen. Sechs Räume hat die moderne Unterkunft, Bad und WC sind in jedem Doppelzimmer durch eine dicke Glaswand vom Schlafbereich getrennt. Wenn der Besitzer nicht im Haus ist, kommen die Gäste über einen Code in das Gebäude. Frühstück gibt es beim Bio-Café gleich um die Ecke. Immer mehr Hamburg-Touristen und Geschäftsleute zieht es in die kleinen, individuellen Pensionen und Hostels als Alternative zu den großen Hotelketten.

„Unsere Gäste suchen neben einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis vor allem Individualität“, sagt Sebastian Hofmann, Besitzer der „St. Pauli Lodge“. „Es ist nicht jedermanns Sache beim Duschen nur durch eine Glaswand vom Rest des Zimmers getrennt zu sein, aber wir wollen auch gar nicht jedem gefallen. Gerade dieses Anecken ist uns wichtig.“ In der Kaffeeküche gibt es Tee und Kaffee gratis. „Hier kommen die Gäste miteinander ins Gespräch und lernen sich kennen“, sagt der Lodgebesitzer.

Hofmann betreibt sein Hostel seit zwei Jahren in Hamburg.Von einem normalen Hotel unterscheidet sich die Lodge vor allem durch ihre kleine Größe, das Familiäre und die Selbstversorgung der Gäste. „Der Beherbergungsmarkt hat sich in den letzten Jahren sehr verändert und wird dies auch in Zukunft weiter tun, da die Hostel-Schiene gerade in Hamburg noch nicht voll erschlossen ist“, sagt Hofmann. Viele Betreiber hätten den Trend bereits begriffen, gäben sich aber falschen Illusionen hin. „Ein Hostel braucht Story, sonst überlebt es nicht. Individualität statt Konformität muss im Vordergrund stehen.“

Platz für neue Hotels ist in Hamburg allemal. Laut Statistikamt Nord ist die Zahl der Übernachtungen von 2000 bis 2008 von knapp fünf auf 7,7 Millionen gestiegen – nicht ohne Folgen: Auch die Zahl der geöffneten Betriebe stieg von 254 auf 292, darunter viele Hotels großer Ketten, aber auch eine Menge Eröffnungen kleinerer „Bed & Breakfast“-Pensionen: So hat zum Beispiel die „Superbude“ im letzten Jahr ihre Pforten geöffnet. Das Rock’n’Roll Hotel „Kogge“ auf St. Pauli gibt es schon sechs Jahre.

Auch Torsten Kirstges, Direktor des Instituts für innovative Tourismus- und Freizeitwirtschaft an der Fachhochschule in Wilhelmshaven hat eine Veränderung im Hotelgewerbe festgestellt: „Dort findet in letzter Zeit eine Polarisierung zwischen luxuriösen Hotels und kleinen, günstigeren Hostels und Pensionen statt“, erklärt er. Zwar könnten auch die Hotels der gehobenen Preisklasse ihre Gästezahlen teilweise erhöhen, aber die mittlere Preisklasse dünne zunehmend aus. „Die Leute aus dem Mittelstand weichen dann auf sparsame Alternativen aus. Eine Verlagerung nach oben ist eher selten der Fall.“ Kleine Hotels würden durch die wachsende Beliebtheit von Stadt- und Kurzreisen begünstigt. Kirstges erklärt: „Die Touristen verschieben die Wertigkeiten. Auch mit weniger Geld wollen sie nicht auf die Anzahl ihrer Reisen verzichten, sondern sparen stattdessen lieber während des Urlaubs.“ Diese Entwicklung sei schon seit längerer Zeit zu beobachten, sie habe sich aber in den letzten fünf Jahren beschleunigt.

Auch einen Trend zu mehr Spontaneität gebe es unter den Reisenden. „Früher hat man noch sechs bis acht Monate vor Reisebeginn gebucht. Heute wollen die Leute sich nicht mehr binden und machen ihren Urlaub vom aktuellen Wetter- und Finanzstand abhängig.“ Kirstges sagt weiter: „Auch die zunehmende Individualisierung der Menschen ist ein wichtiger Faktor. Es soll schon ein Hotel sein, das zu einem passt. Das lässt sich in einer kleinen Bed & Breakfast Pension besser verwirklichen als in einem Großbetrieb“, sagt Kirstges.

Individualität suchen auch die Gäste des ehemaligen Hafenhotels „Kogge“, das jetzt anstatt Seeleuten oft Musikern und Bands ein Zuhause auf Zeit bietet. „Wir haben unsere Nische auf dem Markt gefunden“, sagt Mitinhaber Gernot Krainer. Die zwölf Zimmer des Hotels sind winzig klein und folgen alle einem besonderen Konzept. Ganz im Stil der 60er, mit grünbraun gestreifter Wand und altbackenem dunkelgrünem Sessel sieht „Honeckers Herrenzimmer“ sittlich und geordnet aus, während im Zimmer „Punk Royal“ eine Diskokugel über und ein Zebrafell neben dem schwarzen Bett hängen. Nach dem Motto „Komm’se rein, könn’se rausgucken“ besteht im „Show Room“ eine Wand nur aus Fenstern, sodass Passanten durchaus mal einen Blick auf ein nacktes Hinterteil erhaschen können.