Werden alte Männer überschätzt?
JA

MACHT Joachim Gauck, 72, wird Bundespräsident, Helmut Schmidt, 92, ist der Übervater der Nation, und Otto Rehhagel, 73, soll die Hertha vor dem Abstieg retten. Die alten Männer bestimmen die Geschicke in der Republik

Die sonntazfrage wird vorab online gestellt.

Immer ab Dienstagmittag. Wir wählen eine interessante Antwort aus und drucken sie dann in der sonntaz.

www.taz.de/streit oder www.facebook.com/taz.kommune

Désirée Nick, 55, Kabarettistin, Schauspielerin und Dschungelkönigin

Ich finde das wunderbar, dass endlich die Nation wachgerüttelt wird und die demografisch längst erwiesene Überalterung Deutschlands sich gesellschaftlich personifiziert. Mit 50 beginnt doch erst die zweite Volljährigkeit, denn die 50-Jährigen sind angesichts dieser Karrieregreise die IT-Girls der Geriatrie! Dass die Emanzipation blanke Theorie und ihre Umsetzung in der Praxis noch nicht erfolgt ist, zeigt sich dadurch, dass wir keine Äquivalente weiblicher Art in der Führungselite haben. Erst wenn wir eine 80-jährige Bundespräsidentin, eine vergreiste Altkanzlerin und eine weibliche 75 jährige Frauenfußball-Trainerin an der Macht haben, sehe ich die Gleichstellungsquote gesichert. Der Begriff rüstige Rentner erhält eine völlig neue Dimension. Unter diesen Bedingungen sollte ich mit 55 endlich mein eigenes TV-Format für die Menschen in der Mitte des Lebens erhalten, denn diese sind ja inzwischen der Nachwuchs der Alten. Die Ikone dieser weisen Männer sollte Jopi Heesters sein, denn der hat neue Maßstäbe gesetzt: 90 ist heute doch kein Alter – wenn man 108 ist!

Sabine Asgodom, 58, Autorin, Trainerin und Coach in Wirtschaft und Politik

Alte Männer werden überschätzt. Zumindest als „Retter“! Otto Rehhagel als Hertha-Hero in Ehren, vielleicht schafft er es sogar, die Mannschaft vor dem Abstieg zu bewahren. Aber moderner, junger Fußball wird woanders gespielt – bei den Borussen zum Beispiel – in Dortmund unter Jürgen Klopp (44) oder in Gladbach unter Lucien Favre (54). Natürlich gibt es eindrucksvolle ältere Herren in der Politik, Helmut Schmidt oder Joachim Gauck, aber es gibt auch eine langlebige Riege alter Schwätzer, die allabendlich Talkshow-Zuschauer ins Wachkoma labert. Die Grundfrage ist doch eine andere: Wer kann Denkanstöße geben, wer stellt die Fragen der Zukunft, wer verbindet Erfahrung mit Neugier und Respekt vor der nächsten Generation (ich sage nur „Occupy“)? Und, ach richtig, dann gibt es ja noch die Frauen. Hildegard Hamm-Brücher ist mit ihren 90 Jahren immer noch erfrischender als manch selbsternannter Wirtschaftsweise jedweden Alters.

Gabriele Friedrich, 58, hat die sonntaz-Frage der Woche auf taz.de kommentiertNatürlich werden alte Männer überschätzt, ebenso alte Frauen. Alte Menschen haben Erfahrungswerte, und wenn wir Helmut Schmidt nehmen, auch ein Wahnsinnsgedächtnis. Dennoch gibt es Themen, die junge Leute besser angehen und weniger verklären. Alter allein ist kein Verdienst und Jugend keine Tugend. Manches kann ein älterer Mensch nicht immer beurteilen, weil er nicht in der Lage ist nachzuvollziehen, was junge Menschen wollen und brauchen. Die Diskussion mit Älteren hat nur dann einen Sinn, wenn sie zuhören können, was den meisten schwer fällt. Sie wollen reden, wie man in Talk-Shows sehen kann. Sie wollen sich rückwärts profilieren und vergessen ihre eigenen Fehler oder Fehlentscheidungen. Jungen Leuten würde ich als „Ältere“ empfehlen, eigene Fehler zu machen. Erkenntnis und Erfahrung kommt vom Erleben und „tun“. Auf ihr Jungen, macht es besser, und wenn ich es noch erlebe, dann reden wir und ich höre zu.

Beatrice Behn, 31, Kritikerin, Autorin und Direktorin des Comedyfilm FestivalsInkompetenz, Arroganz und Gier sind meiner Meinung nach keine Frage von Alter oder Geschlecht. Ältere Männer scheinen dies nur eleganter verstecken zu können. Ich würde mich freuen, wenn mal eine Reihe Frauen zeigen darf, dass auch sie gierige, inkompetente Versagerinnen sind. Das gehört für mich ebenfalls zur Emanzipation.

NEIN

Sabine Bode, 64, ist eine Kölner Journalistin und Autorin des Buches „Wir Alten“

Werden alte Männer überschätzt? Ach was. Wenn sie Bemerkenswertes zu sagen haben, werden sie geschätzt. Haben sie wenig zu sagen, werden sie manchmal wegen außerordentlicher Lebenszähigkeit bewundert – wie zuletzt Johannes Heesters, der es gut gelaunt auf 108 Jahre brachte. Keine Frage, in der Bevölkerung ist das Bedürfnis nach Menschen, die Orientierung geben, groß. Alt sein ist hier kein Nachteil. Ich rede von Männern und Frauen, die auf ein langes, eigenwilliges Leben zurückblicken – und sich immer noch auf der Höhe der Zeit befinden. Sie bekommen Beifall, weil sie sich selbst treu geblieben sind, ohne banal zu werden. Darum hört man auf sie, und darum hört man ihnen gern zu. So unterschiedlich Helmut Schmidt, Otto Rehhagel und Joachim Gauck auch sind – ihr Unterhaltungswert liegt deutlich höher als der von Philipp Rösler und Kristina Schröder. Alte Männer braucht das Land? Nun, ein paar mehr vom Kaliber Schmidt, Gauck und Rehhagel dürfen es ruhig sein.

Philipp Mißfelder, 32, Politiker, seit 2002 Vorsitzender der Jungen Union

Ältere Männer werden so wenig überschätzt, wie junge Männer unterschätzt werden. Fakt ist: Die über Vierzigjährigen regieren die Welt. Sie lösen Staatskrisen, führen Weltkonzerne und trainieren Weltmeister. Das höchste Staatsamt in Deutschland bleibt denen vorbehalten, die eine Altersgrenze von 40 Jahren überschritten haben. Dafür gibt es gute Gründe. Für das Amt des Bundespräsidenten ist eine Person mit Lebenserfahrung und Reife wichtig. Alter ist ein Aussichtsturm, sagte der Aphoristiker Hans Kasper, und der erste Mann im Staat benötigt gewisse Weitsicht. Keine Frage, junge Frauen und Männer bringen frische Ideen in die Politik, aber auch sie werden schon bald von der nachkommenden Generation beerbt. Denn wie heißt es so schön: Wie die Alten sungen, so zwitschern die Jungen. Heute könnte es auch „twittern“ heißen.

Oliver Höfinghoff, 34, Berliner Abgeordneter der Piratenpartei

Alte Männer wie auch Frauen haben jüngeren gegenüber einen Vorteil, wenn sie Plätze oder Ämter mit Verantwortung besetzen sollen. Sie bieten Erfahrungswerte, die man hernehmen kann, um ihre Reaktionen vorherzusagen. Wenn man so will, sind sie berechenbarer. „Der Mangel an Erfahrung veranlasst die Jugend zu Leistungen, die ein erfahrener Mensch niemals vollbringen würde“, schrieb Jean Duché. Und darin liegen sowohl Chancen als auch Risiken. Wollen wir, dass sich etwas ändert, ist es sinnvoll, jüngere Heißsporne mit der Aufgabe zu betrauen, wollen wir den Status quo erhalten, ist höheres Alter kein schlechtes Kriterium. Die Auswahl Joachim Gaucks durch Frau Merkel und ihre drei „Volksparteien“ ist somit wohl ein größerer Hinweis als eigentlich beabsichtigt. Gauck ist ein weiterer Faktor, den christdemokratischen Machterhalt zu sichern. 2013 wird Merkel einen verlässlichen Partner im Schloss Bellevue an ihrer Seite haben.

Gerold Reichenbach, 48, SPD-Abgeordneter im Deutschen Bundestag

Nach dem schnellen Aufstieg und Scheitern der jungen „Blender“, schlägt das Pendel des Zeitgeistes jetzt in die Gegenrichtung aus. Das Dilemma der digitalen Postmoderne: Instrumentelle Fähigkeiten und Lebenserfahrungen werden im digitalen Zeitalter fast täglich entwertet, andererseits lässt die Geschwindigkeit dieses Wandels den Erwerb fundierter Erfahrung im Bereich der praktischen Vernunft kaum mehr zu. Diese Orientierungslosigkeit findet zwischen Guttenberg und Gauck keine wirkliche Erlösung.