Land ohne Wiederkehr

Afghanischer Flüchtlingsminister widerspricht Hamburgs Innensenator Udo Nagel. Abschiebungen seien zurzeit kontraproduktiv. Senat will dennoch Tausende Menschen zurückschicken und empört sich über Nordelbische Kirche

Der afghanische Flüchtlingsminister Azam Dadfar hat der Behauptung des Hamburger Innensenators Udo Nagel (parteilos) widersprochen, die afghanische Regierung habe keine Bedenken gegen die Abschiebung von Landsleuten aus Deutschland. In der heutigen Ausgabe des Spiegel stellt Dadfar vielmehr klar, dass er Nagel bei dessen Besuch in Kabul vergangene Woche darum gebeten habe, auf die zwangsweise Rückführung afghanischer Flüchtlinge zu verzichten. Abschiebungen seien wegen der prekären Versorgungslage im Land zur Zeit „kontraproduktiv“, so der Minister.

Diese Aussagen brächten Nagel „in Erklärungsnot“, befanden gestern die SPD-Abgeordneten Andreas Dressel und Aydan Özoguz. Sie verlangen vom Senat „unverzüglich einen ungeschminkten Bericht“ über die Lage in Afghanistan und über die Gespräche mit der dortigen Regierung. Nagel hatte vor zehn Tagen nach seiner Rückkehr aus der afghanischen Hauptstadt angekündigt, im Mai mit der Abschiebung von ausreisepflichtigen Afghanen zu beginnen. Dabei hatte er sich auch auf Gespräche mit Dadfar berufen.

Der Hamburger Senat will zunächst nur allein stehende Männer zwischen 18 und 60 Jahren zurückschicken. Dies betrifft etwa 3.000 Menschen, 2.000 dürften noch hinzukommen, da ihre Asylanträge wahrscheinlich abgelehnt werden. Weitere rund 10.000 Flüchtlinge aus Afghanistan haben einen gesicherten Status in der Hansestadt und gelten als gut integriert.

Nächste Woche wollen die Flüchtlingsbeauftragte der Nordelbischen Kirche (NEK), Pastorin Fanny Dethloff, und die GAL-Abgeordnete Antje Möller nach Kabul reisen, um sich dort selbst ein Bild zu machen. Beide bezweifeln, dass Sicherheits- und Versorgungslage in dem Bürgerkriegsland so rosig sind, wie Nagel sie schilderte. Die Situation für Abgeschobene sei „nicht vergleichbar“ mit der eines Senators, vermutet Möller, „der sich mit vier Bodyguards Kabul anguckt“.

Das hatte vorige Woche auch Rafiq Shirdel vom Hamburger Netzwerk „Afghanistan Info“ bestätigt. Korruption, Überfälle und Entführungen „sind dort ganz normal“, berichtete Shirdel nach einem zweiwöchigem Aufenthalt in Afghanistan der taz, es fehle an medizinischer Versorgung, Unterkünften und Arbeit: „Für die Menschen dort“, so Shirdel, „gibt es keinerlei Hoffnung.“

Nagel bekräftigte unterdessen seine Entschlossenheit, mit den Abschiebungen zügig zu beginnen: „Wir haben bereits mehrere Termine festgelegt und Flüge gebucht“, erklärte er. Zugleich empörte er sich über Dethloffs Reise nach Kabul. Die NEK könne angesichts ihrer knappen Kassen „das Geld sicher sinnvoller ausgeben“, meinte Nagel. Wenn die Flüchtlingspastorin nach Afghanistan fliege, würde „mir damit indirekt unterstellt, dass ich die Öffentlichkeit belogen habe“, interpretiert der parteilose Senator die kirchlichen Motive.

„Absolut unverständlich“ findet auch Lutz Mohaupt, Sprecher von Bürgermeister Ole von Beust, die vermeintlichen Beweggründe: „Der Senat steht hinter der Politik von Senator Nagel.“ Die NEK aber „mischt sich in die Hamburger Politik ein“, klagte Mohaupt, bis Ende vorigen Jahres Hauptpastor an St. Jacobi, am Samstag in der Bild: Deshalb sei er „von meiner Kirche tief enttäuscht“.

Sven-Michael Veit

Ohne Ausbildung – ohne Sicherheit – ohne Zukunft? Abschiebung nach Afghanistan: Eine Veranstaltung des Flüchtlingsrats Hamburg, heute, 19.30 Uhr, Curio-Haus, Rothenbaumch. 11.