Rockende Maschinenrotation

Am Samstag präsentiert sich das Berliner Elektronik-Label ~scape in der Volksbühne. Nachdem er in den Neunzigern die Prominenz seinem kaputten Filter überlassen hatte, tritt Stefan Betke alias Pole nun mit dem Rapper Fat Jon auf

Wenn in der Nacht zum Tag der Arbeit alle Räder stillstehen, beginnt in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz die Bühne für das Berliner Elektronik-Label ~scape zu rotieren, elektrisch angetrieben mit Motor, Zahnrädern und Transmissionsriemen. Doch es ist nicht mehr allein die Maschine, die musiziert. Pole alias Stefan Betke, der 1999 gemeinsam mit DJ Barbara Preisinger das Urban Dub-Label ~scape gründete, tritt morgen Abend, nachdem er seine dubbigen Clicks & Cuts 2003 mit Rapper Fat Jon und satten Hiphop-Beats entclickt hat, erstmals mit Live-Band auf, begleitet vom Lillevan (sonst bei Rechenzentrum) am Videomixer.

Diese Form der Präsentation ist etwas Neues. Denn für die Trilogie seiner blauen, gelben und roten Pole-Alben hatte Betke noch die Maschine in den Mittelpunkt gerückt – seinen defekten Pole-Filter hatte er sogar zum Namensgeber und technischen Ursprung seines Knistersounds erhoben. So ließ Betke zwei Argumentationsströme des seriellen Denkens der Neunzigerjahre aufeinander treffen: Technisch induziert muss der Fortschritt sein, die Technik muss sich selbst durchkreuzen, sie muss defekt sein, sie muss gegen sich selbst angewandt werden. Die Kreativität als Unfallergebnis. Zugleich verdrängte die Maschine den Star und Autoren, reduzierte ihn zur Bedienoberfläche für Codes und Kontexte. Doch damit ist es nun vorbei.

Seit Poles Öffnung zu den experimentellen Randzonen des HipHop, einem Genre, in dem der Starkult ohnehin traditionell weniger Krämpfe als Konkurrenzkämpfe generiert, bekommen die Codes wieder Stimme und Gesicht, während sich die Grenze zur Livemusik lockert. Popstar wollte er ohnehin schon immer sein. „Natürlich bin ich keiner, ich bin bestenfalls im Underground bekannt.“

Auch Jan Jelinek, das andere Aushängeschild von ~scape, der Soul- und House-sozialisierte Fabrikant schwebender, hypnotischer Repetition mit Soziologie-Background, weist das überkommene Maschinenmotiv in die Schranken eines sterilen elektronischen Genres, wo „jeder zweite Songtitel auf eine Drum-Machine oder eine Software“ verweist. Ihm dagegen geht es, nicht nur zur Walpurgisnacht, um Transzendenz: Wenn Töne, Melodien, Samples und Geräusche „ihre Determination in einem musikalischen Kontext“, ihre eindeutige Verortbarkeit in einem Stil oder einer Geschichte verlieren und zu „reiner Körpererfahrung“, zu „nicht-trashiger Wahrheit“ werden.

Auch hier darf Musik, bei aller Liebe zum Geraune der Codes, wieder live besetzt werden. Statt mit seiner frei erfundenen Fake-Band The Exposures tritt Jelinek – eine weitere Deutschlandpremiere – mit der australischen Band Triosk und angejazzter Elektronik auf. „Eine Live-Band wird zur Grenzerweiterung von Elektronik, wenn sie nicht in die Klischees von Punk- und Rockmusik zurückfällt“, sagt Preisinger.

Von Unfällen anderer Art und umso trashigeren Wahrheiten ist bei einem der neuesten ~scape-Künstler zu hören, dem selbst ernannten Tölpel und sogar poppigen Techno-Geek Safety Scissors aus San Francisco, der kürzlich vom Fahrrad fiel und dabei sein Handgelenk verstauchte. Bei einer anderen Gelegenheit verletzte er seine Eier, als er über Holzpfähle hüpfte. Welche Unfälle von seinem Auftrittsdebüt in der Volksbühne zu erwarten sind, ist derzeit ebenso geheim wie sein im Herbst erscheinendes Album. Man kann von rockenden Maschinenrotationen bis zum Systemabsturz ausgehen.ROBERT DEFCON

Samstag, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, ab 21 Uhr. Pole + Band mit Lillevan, Triosk meets Jan Jelinek, Safety Scissors & Evans Hankey & Andrew Pekler, DJ Meteo, DJ Barbara Preisinger und DJ Zip