Die CDU umarmt Oettinger

Der neuer Ministerpräsident in Stuttgart ist kein Mann der großen Worte – und kein Vorkämpfer für eigene Ideen. Bei seinem Amtsantritt setzt er auf die Fortführung der Unionspolitik. Er will Familien stärken – und gegen Ausländer Härte zeigen

AUS STUTTGART HEIDE PLATEN

Er federte in den Saal, wirkte anfangs allerdings noch etwas einsam auf der Regierungsbank und wie verloren unter Parteifreunden. Oettinger lächelte eisern. So einer, erst mit 30 Chef der Jungen Union, eine 13 Jahre jüngere Ehefrau, ein sechsjähriger Sohn, muss wohl dynamisch wirken. 14 Jahre hatte der neue baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger, 51, geackert, um da vorne am Pult zu stehen, als Regierungschef im Stuttgarter Landtag. Gestern Vormittag vereidigte er seine neue Ministerriege und verlas seine erste Regierungserklärung.

„Kontinuität und Fortschritt“ hatte sein Motto geheißen, als ihn die Parteimitglieder Ende 2004 zum Nachfolger von Erwin Teufel, 65, machten. Das klang eleganter als Bayerns CSU-Slogan von „Laptop und Lederhose“ und dessen hessische Bembel-Variante. Der neue Landeschef ist seinen südlichen Nachbarn als Gegner von CDU-Chefin Angela Merkel auch sonst nicht fern, ein bisschen ein verjüngter Stoiber ohne dessen Präsenz, etwas ein älterer Roland Koch ohne dessen intellektuelle Eloquenz.

Der Jurist Oettinger gilt als Aktenfresser und Faktenhuber. Ein begnadeter Redner ist er nicht. Fast auf die Minute genau zwei Stunden lang haspelte er sich in Schnellsprech-Tempo und hartem Stakkato durch seine 44 Seiten Manuskript, verschluckte Silben so, dass einzelne Wörter bis zur Unkenntlichkeit zusammenschnurrten. Kein anderer Landesvater wird künftig das Wort „Pollettikk“ mit so kurzen Vokalen aussprechen können. Die großen Gesten liegen Oettinger nicht, der Körper bleibt steif.

Seine Schwerpunkte setzte er gestern eher im Bereich Kontinuität: Familienfreundlichkeit, mehr Kinderbetreuung und Sportförderung bezeichnete er als besonders wichtig, aber auch mehr Straßenbau durch Privatisierung, Stärkung des Mittelstands, schlanker Staat, beinharte Ausländerpolitik, Verschärfung des Jugendstrafrechts, mehr Polizei, Studiengebühren von 500 Euro, zeitweise Rückkehr zur Atomkraft, Naturschutz vor allem als Tourismusförderung, Stärkung des Ehrenamtes unter Einbeziehung der „jungen Senioren“. Was die Opposition nutzte, um auf einen künftigen Rentner im Plenum zu deuten. Oettingers Vorgänger, der Abgeordnete Teufel, als dessen Königsmörder der einst ewige Kronprinz noch heute gilt, saß dabei in der letzten Reihe und lächelte fast. Oettingers Vortrag dagegen hörte er sich unbewegt an. Beim ohnehin knapp gehaltenen Abschiedsdank an ihn klatschte er mit sparsamster Bewegung, so, als ob er übe, in Zukunft ganz kleine Brötchen zu backen.

Die bei der Mitgliederbefragung im Herbst unterlegene Konkurrentin, Kultusministerin Annette Schavan, blickte gelassen drein. Sie wird bis zur Landtagswahl 2006 im Amt bleiben, künftig die Zuständigkeit für die Kindergärten bekommen und die Jugendarbeit an das Sozialministerium abgeben. Mit den Neu- und Umbesetzungen der Minister und Staatssekretäre hatte Oettinger am Dienstag seinen bis dahin knappen Spielraum voll ausgenutzt und mit Sozialminister Andreas Renner und Landwirtschaftsminister Peter Hauk zwei Freunde in seine Nähe geholt.

Oettinger blühte sichtlich auf, als er vom langatmigen Redetext abweichen konnte. Zwischenrufe von SPD und Grünen animierten ihn. Kurz, knapp und schnell verteilte er seine Spitzen, ließ aufblitzen, dass er eher ein Kämpfer als ein abgeklärter Landesvater sein will. Und dass seine derzeitige Feinde nicht in der Stuttgarter Opposition, sondern in der Berliner Bundesregierung sitzen. Das vor allem, deutete sich an, wird seinen Wahlkampf bis zum März 2006 bestimmen.