Miles. And more

Gibt es so ein richtig schönes Happy End im wahren Leben? Klar. Aber davor müssen Julia und Matthias erst mal tausende von Kilometern überwinden. Tomatensäfte und Kulturschocks inklusive

„Ich wollte jeden Tag bei ihm sein und konnte das nicht. Als ich im Flugzeug saß, wusste ich, es muss sich was ändern“

Julia Schmidt-Lehr

VON JESSICA OEMISCH

Wenn er sie anrief, ertönte am anderen Ende der Leitung „Hello?“. Das war ihre Stimme, verbunden mit einem lauten Knistern im Hintergrund „Hi darling! Are you okay?“. Dann ein Geräusch, das jedem bekannt ist, der schon einmal übers Internet telefoniert hat und bei dem die Leitung unterbrochen wurde: „dudub“, als würde aus einer randvollen Badewanne der Stöpsel gezogen. So hat sich das auch angehört, wenn Skype Julia in Taipeh von Matthias in Hamburg getrennt hat. Wenn die Verbindung unterbrochen wurde. Denn geskypt haben sie regelmäßig, die Nähe fand so nur im Kopf statt. Ohne den Anderen zu riechen, zu berühren oder zu spüren.

Julia und Matthias: das ist eine Liebesgeschichte in Zeiten der Globalisierung, in der die Grenzen und Entfernungen nicht so leicht zu überwinden sind, sondern weh tun können. Ganze acht Stunden Zeitverschiebung und neuntausend Kilometer Luftlinie trennten die beiden. Mit einer guten Flugverbindung wird das andere Ende der Welt in achtzehn Flugstunden, fünf Tomatensäften, und dem Dauerlächeln des zurechtgerückten Boardpersonals erreicht.

Treffen am Time Square

Es begann vor zweieinhalb Jahren, im Juni 2010. Julia Chen, 21, aus Taipeh und Matthias Schmidt-Lehr, 26, aus Hamburg, begegneten sich in New York. „Wir waren zusammen im Work und Travel Programm und haben am Time Square Touristen fotografiert und die Bilder dann verkauft“, erzählt sie. „Ich habe Matthias gesehen und ihn gefragt, ob er mit mir brunchen gehen möchte.“

Sie gingen brunchen, schauten sich in einer Bar Fußballspiele an und verkauften weiter Fotos an Touristen. Einen knappen Monat später wurden sie ein Paar. Was nach Happy End klingt, bedeutete im speziellen Fall der Taiwanerin und dem Deutschen zu diesem Zeitpunkt jedoch viel eher das Ende als happy zu sein. Beide wussten, dass ihnen noch zwei Monate in New York bleiben, dann würde jeder in seine Heimat zurückgehen. Mit unsicherer Stimme erzählt Julia: „Zuerst habe ich gedacht, dass ich Ende September die Beziehung beenden möchte.“

Sie blieben zusammen. Aber es wurde eine Fernbeziehung, sie skypten und flogen regelmäßig nach Taiwan. Oder nach Deutschland. Sie lernten sich kennen, auch Freunde, Familien und das gesamte Umfeld des Anderen. Dass interkulturelle Beziehungen nicht ausschließlich romantisch sind, sondern auch Konflikte bergen, merkte Matthias schnell. Er klingt nachdenklich, wenn er darüber spricht. „Ich musste lernen, dass die Bedeutung von Familie und Alter einen anderen Stellenwert in Julias Kultur hat. Wenn ihr älterer Bruder oder ihre große Schwester ihr was sagen, dann fragt sie nicht nach, sie macht es einfach. Das war anfangs nicht nachvollziehbar und hat mich teilweise echt sauer gemacht.“

Bei ihrem Deutschlandaufenthalt im Februar 2011 wurde Julia krank. Einen Monat lang lag sie im Krankenhaus, wo Matthias sie mehrmals täglich besuchte. „Als ich mit Matthias in New York zusammengekommen bin, war mir bewusst, dass wir tausende Kilometer voneinander getrennt sein werden. Das war anfangs okay, weil die Beziehung noch nicht so eng war. Doch als ich im Krankenhaus lag, habe ich gemerkt, dass er der Mann fürs Leben ist.“

Aus dem Krankenhaus entlassen, musste sie wieder zurück in ihr anderes Leben. Sie flog nach Taipeh und wusste, dass sie Matthias drei Monate nicht sehen würde.

Ab jetzt dreht sich alles. Aus Verliebten werden sehnsüchtig Liebende. Ein Ende der Beziehung auf Distanz ist nicht in Sicht. Sie kriegen die Entfernung nicht weg, die Meilen, das Geräusch, wenn die Skype-Verbindung gekappt wird, das Dauerlächeln der Stewardessen auf dem Rückweg. Im Gespräch erzählt Julia: „Das war die schwierigste Zeit für mich. Ich wollte jeden Tag bei ihm sein und konnte das nicht. Als ich im Flugzeug saß, wusste ich, es muss sich was ändern.“

Knapp ein Jahr nach ihrer ersten Begegnung, Hamburg im Juli 2011. Ein windig-lauer Sommertag. Auch wenn die beiden sonst ein Studentenleben führten, lud Matthias Julia an dem Tag im Juli in ein vornehmes Restaurant ein. Noch immer überrascht erzählt sie: „Ich dachte, wir gehen danach nach Hause. Doch Matthias hat ein Taxi zum Mövenpick Hotel bestellt.“

Von jetzt an für immer

Das Taxi hielt vor dem Mövenpick Hotel in Hamburg. Grinsend erzählt Julia: „Wir kamen in das Zimmer, ich sah ein weißes Kästchen mit goldenem Tiffanys-Schriftzug und Champagner auf dem Tisch stehen. Matthias ging zum Tisch, nahm die Schachtel, öffnete sie und kniete vor mir nieder. Er fragte mich, ob ich den Rest meines Lebens mit ihm verbringen und ihn heiraten möchte!“

Sie wollte.

„Als Julia im Sommer letzten Jahres da war, haben wir beide gemerkt, dass sie schon früher nach Deutschland kommen möchte, damit sie sich an die Kultur anpassen kann, die Sprache lernt, weil sie hier studieren möchte“, erzählt Matthias.

Anfang dieses Jahres in Taipeh, fünfundzwanzig Grad bei einer Luftfeuchtigkeit von achtzig Prozent. Sie trägt ein türkisfarbenes, langes mit Rüschen verziertes Kleid. In ihrem langen, dick-gewellten dunkelbraunem Haar steckt die passende Blüte. Er hingegen erscheint in legeren Jeans, weißem Hemd und Weste, dokumentiert auf professionell geschossenen Hochzeitsbildern. Es ist ihr Hochzeitstag, der Tag, an dem aus den Verliebten ein Ehepaar wird. Jener Augenblick, in dem sie vor der vereinten Hamburger-Taipeh-Familie ihre Liebe besiegeln. Aus Julia Chen wird Julia Schmidt-Lehr.

Zwei Herzen an einem Ort

„Ich denke, viele meiner Freunde sind überrascht. In Taiwan ist es nicht normal, so jung zu heiraten. Aber für mich macht das Alter nichts“, sagt sie. Das Vorurteil, dass die beiden nur geheiratet haben, damit Julia nach Deutschland kommen kann, lässt beide kalt. Matthias sagt, „Taiwan ist sehr weit entwickelt. Es gibt da keine Nachteile. Am Ende ist Julia die, die ihre Kultur, ihre Sprache und Freunde zurücklässt“.

Zwei Wochen nach der Hochzeit, Matthias ist zurück in Hamburg und Julia noch in Taipeh. Die frisch Verheirateten haben eine Stunde geskypt. Zeit aufzuhören, in einer Stunde beginnt Matthias‘ Arbeitstag und Julia ist zum Abendessen mit Freundinnen verabredet. Sie schenkt ihrem Ehemann einen Kuss über die Kamera und sagt: „See you soon!“ Er küsst sie zurück, legt auf und das Badewannen-Stöpsel-Geräusch ertönt erneut. Aber es ist nur vorübergehend. Wenn seine Frau in wenigen Wochen nach Deutschland kommt, sieht er sie nicht nur für ein paar Tage. Julia will in Hamburg bleiben, studieren und mit Matthias eine Familie gründen.

Liebe in Zeiten der Globalisierung. Für die beiden bedeute das „Teamwork“, sagt Julia. „Und Vertrauen“, fügt Matthias hinzu. „Teamwork und Vertrauen“, sagen sie.