Verrückte Wetten

Engländer gelten als skurril, ihre lokalen Wettkämpfe zumindest bestätigen dies

VON KARSTEN THILO-RAAB

Ein Land, in dem sich jedes Jahr nach Aussagen aller am Tourismus verdienenden Einwohner Anfang Mai ein sagenumwobenes Monster mit riesigen Nüstern aus den Fluten des Loch Ness erhebt, um nach einem Bruchteil von Sekunden für den Rest der Japaner-und-Amerikaner-zahlen-jeden-Preis-Saison wieder in dem brackig-braunen Wasser zu verschwinden. Ein Land, in dem die Ehrengarde der Königin selbst bei 40 Grad im Schatten mit Bärenfellmützen herrumläuft – in diesem Land ist nichts, aber auch gar nichts unmöglich. Dies bestätigt auch ein Blick auf die Vielzahl an kuriosen Wettbewerben, die längst einen festen Bestandteil im bunten Veranstaltungsreigen des Vereinigten Königreichs bilden.

So scheint das traditionelle Cheese Rolling am Coopers Hil in Brockworth in der Grafschaft Gloucestershire nicht nur für Käsemoppel geeignet. Am 30. Mai 2005 jagen wieder in vier Rennen Wagemutige einen steilen, unwegsamen und glitschigen Hügel mit stellenweise bis zu 50 Prozent Gefälle hinunter und versuchen, einen vier Kilogramm schweren Gloucester-Käse einzuholen. Nahezu alle Teilnehmer kommen angesichts des schwierigen Geläufs unweigerlich selber ins Rollen. Als Lohn für die Mühen darf der Sieger den Käse behalten. Zu den Gewinnern im Jahre 2004 zählte übrigens Rugby-Nationalspieler Marc Ellis aus Neuseeland. (www.cheese-rolling.co.uk)

Beim Annual Nettle-Eating Contest am 18. Juni 2005 am Bottle Inn Pub in Marsham in der Grafschaft Dorset setzen sich die Teilnehmer nicht nur im wahrsten Sinne des Wortes in die Nesseln, sondern verputzen diese auch noch um die Wette. Die 30 Teilnehmer haben eine Stunde Zeit, um möglichst viele Blätter von den 60 Zentimeter langen Strünken zu verspeisen. (www.thebottleinn.co.uk)

In Llanwrtyd Wells in Wales steigt am 11. Juni 2005 mit dem Marathonlauf Mann gegen Pferd ein weiterer Spaßwettbewerb. Dabei messen sich ein Pferd und eine Läuferschar querfeldein über die 42-Kilometer-Distanz. So verrückt die Idee anmutet, so überraschend sind die Resultate: Im Jahr 2004 passierte Hubb Lobb aus Bedford in 2:05,19 Stunden die Ziellinie und siegte als erster Zweibeiner in der 27-jährigen Geschichte des Wettbewerbs über einen Vierbeiner. Als Lohn durfte er sich über eine stattliche Prämie in Höhe von 25.000 Pfund (ca. 35.000 Euro) freuen. (www.llanwrtyd-wells.powys.org.uk/eventmanvhorsevbike.htm)

Bei einem ganz anderen Wettbewerb ist der Wurm drin – und zwar zunächst im Boden, später im Glas. Dazwischen liegen dreißig Minuten voller Vibrationen und Spannung. Wo sich sonst 3.000 Seelen, die rund 700 Hunde ihr Eigen nennen, vier Kneipen teilen, teilt sich nun die Erde. Auf je neun Quadratmeter Wiese versuchen rund 150 Zweimannteams aus aller Herren Länder ahnungslose Regenwürmer dazu zu bewegen, das Erdreich freiwillig zu verlassen. Und dies im Wettrennen mit der Uhr. Schließlich warten neben der goldenen Regenwurmtrophäe nahezu unvergänglicher Ruhm und Ehre. Schauplatz dieses ungewöhnlichen Spektakels ist das Gelände der Willaston County Primary School in der gleichnamigen Ortschaft Willaston in der Grafschaft Cheshire. Dort steigen am 25. Juni 2005 zum nunmehr 26. Mal die World Worm Charming Championships. (www.wormcharming.com)

Alles andere als ein zähes Ringen steht bei den World Toe Wrestling Championships am 23. Juli 2005 am Bentley Brook Inn in der Kleinstadt Fenny Bentley in Derbyshire auf dem Programm. Gefragt sind saubere Füße, kräftige Fußgelenke und Zehen. Bei diesem Ausscheidungswettbewerb sitzen sich jeweils zwei Teilnehmer mit gestreckten Beinen gegenüber. Die großen Zehen werden miteinander verhakt. Sodann muss – vergleichbar dem Armdrücken – versucht werden, den gegnerischen Fuß seitlich an eine kleine Holzbande zu drücken. Der Sieger zieht jeweils in die nächste Runde ein.

In Tywyn, einer verträumten Kleinstadt am Südrand des Snowdonia National Parks in Wales, drängt sich unterdessen die Frage auf: Wo laufen sie denn? Und vor allem, gegen wen laufen sie denn? Denn nicht nur das stählerne Ross gerät bei dieser ungewöhnlichen Herausforderung ins Schnaufen, sondern auch die Heerschar an Läufern. So auch am Samstag, 20. August 2005, wenn der Rotary Club of Tywyn zum 22. Mal zu „Race the train“, einem Wettrennen Mensch gegen Schmalspur-Dampflock, einlädt. Obwohl die historische Eisenbahn weit mehr als ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel hat, ist die Talyllyn Railway nur schwer zu schlagen. Von 1865 bis 1948 diente das Schnauferl zum Schiefertransport. Heute gehört die Bahn zu den so genannten Great Little Trains of Wales, also zu jenen Relikten aus dem Industriezeitalter, die von Eisenbahn-Enthusiasten unter großem Aufwand tiptop in Schuss gehalten werden. Der liebevoll restaurierte Museumszug benötigt für die knapp 23 Kilometer von Tywyn durch das Tal-y- Llyn nach Abergynolwyn und zurück etwa eindreiviertel Stunden. Da müssen sich potenzielle Sieger ganz schön sputen. Um das ehrgeizige Ziel zu erreichen, muss die Meile im Schnitt in 7:25 Minuten bewältigt werden. Dies entspricht etwa pro Kilometer einer Zeitspanne von 4:35 Minuten. Über Farmland, durch Felder, über landwirtschaftliche Ziehwege, über Stock und Stein, über Brücken und matschige Wege, durch Bäche und über asphaltierte Teilstücke führt die Strecke mit ihren zum Teil extrem steilen Abschnitten. Kaum verwunderlich daher, dass viele den anvisierten Meilenschnitt zunehmend aus dem Auge verlieren – ebenso wie die schnaufende Talyllyn Railway. Wer die Distanz nicht in der angepeilten Zeit schafft, hat trotzdem eine kleine Chance. Denn für die Kleinbahn gilt der alte britische Grundsatz: „Train times always vary“ – Fahrzeiten variieren.

Derweil erweisen sich die Weltmeisterschaften im Moorschnorcheln, die World Bog Snorkelling Championships, am 29. August 2005 im walisischen Llanwrtyd Wells nicht nur als ein Exot unter den wohl verrücktesten Sportarten der Welt, sondern auch als ein schleimig-ekeliger Hingucker. Noch dazu ein ebenso ungewöhnliches wie dreckiges Vergnügen. Schließlich gilt es eine knapp 110 Meter lange und rund 1,20 Meter tiefe Furche, die mit tief braunem Wasser, verrotteten Pflanzen und Matsch gefüllt ist, zweimal ohne aufzutauchen zu durchschwimmen. Erlaubt sind als Hilfsmittel lediglich eine Taucherbrille, ein Schnorchel und Flossen. „Ich glaube, allein die Tatsache, dass es weltweit nicht genügend Moore mit entsprechenden Gräben gibt, hat bisher verhindert, dass Bog Snorkelling olympisch wurde“, flachst Organisator Gordon Green mit Blick auf die stetig steigenden Teilnehmerzahlen. (www.bog-snorkelling.co.uk)

Wenn Blutwürste in Strumpfhosen gewickelt und durch die Luft geworfen werden, dann wissen längst nicht nur Insider im Vereinigten Königreich, dass wieder einmal ein Weltmeister in einer wenig alltäglichen Disziplin ermittelt wird: Denn am 11. September 2005 ist das Royal Oak Pub im nordenglischen Ramsbottom Schauplatz der „World Black Pudding Throwing Championships“, der Welttitelkämpfe im Blutwurstwerfen. Ein skurriler Wettbewerb, bei dem es nicht darum geht, große Weiten zu erzielen, sondern ein gutes Auge und Treffsicherheit unter Beweis zu stellen. Dabei wird in rund sechs Metern Höhe an der Kneipen-Außenwand ein Brett angebracht, auf das 21 Yorkshire-Puddings platziert werden. Die wohlschmeckenden Küchlein, eine regionale Spezialität, bestehend aus Milch, Eiern und Mehl, gilt es dann mit den Blutwurst-Geschossen abzuwerfen. Drei Versuche hat jeder Starter, um möglichst viele Küchlein herunterzuholen. Dabei sind ausschließlich Unterarmwürfe erlaubt.

Der Wettbewerb reicht zurück bis in die Zeit der Rosenkriege, als den Truppen aus Yorkshire und Lancashire bei einem Gefecht an der Stubbins Bridge die Munition ausgegangen sein soll. Kurzum setzten die Einheiten ihre Kämpfe fort, indem sie sich gegenseitig mit Lebensmitteln bewarfen. „We still lead the world in black pudding throwing“, erklärt Phil Taylor im Brustton der Überzeugung. Die bis heute weltweit führende Nationen im Blutwurstwerfen zu sein, klingt ein bisschen so, als ob der Organisator der WM den Zeiten des britischen Empires nachtrauert. Vielleicht ist dieses Statement aber auch eine Anspielung darauf, dass das Mutterland des Sports heutzutage insbesondere in publikumswirksamen Sportarten fast immer nur zweiter Sieger ist. (www.gawthorpe.ndo.co.uk/coal.htm)

Zum Mitmachen lädt der alljährliche Real Ale Ramble in Llanwrtyd Wells ein. Am 19. und 20. November 2005 können trinkfeste Wandersleute sich wahlweise auf einen 10, 15 oder 25 Meilen langen Rundkurs begeben. Dabei stellt der Marsch nicht die eigentliche Herausforderung dar. Denn an jeder Kontrollstation wird als Erfrischung ein Bier gereicht. Dass nur die wenigsten die Strecke erfolgreich absolvieren, soll übrigens nur ein Gerücht sein. (www.llanwrtyd-wells.powys.org.uk/)

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