LESERINNENBRIEFE
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Mit offenen Karten spielen

■ betr.: „Ein bisschen gewulfft“, taz vom 3. 2. 12

Geschenke oder Vorteile von Angehörigen der Wirtschaft anzunehmen, scheint doch gängige Praxis von Politikern in Deutschland zu sein. Und diese Rechnung von exakt 119 Euro für eine Eintrittkarte zu einem First-Class-Spiel ins Feld zu führen, mit Verlaub lieber Cem Özedmir, das beleidigt die Intelligenz der Bürger.

Was ich mir wünsche, wären Politiker, die endlich mit offenen Karten spielen und die sich wirklich bewusst machen, was ein offener Gefallen bei Manfred Schmidt und Co im Ernstfall bedeuten kann. Die Geber hoffen auf einen zukünftigen Vorteil, während die Nehmer darauf bauen, dass dieser Fall nie eintreten möge. Aber wenn doch?

Was ich mir weiter wünsche, wäre eine beispiellose Kampagne, in der alle betreffenden Politiker den Satz aussprechen: „Ich habe Vorteile vonseiten der Wirtschaft in Anspruch genommen.“ Lieber Herr Özdemir, machen Sie mutig den ersten Schritt. Sprechen Sie offen über die gängige Praxis. Von einem Wulff kann man offensichtlich nichts Besseres erwarten als „aussitzen“ und die „drei Affen“ mimen. Von Ihnen, einem Grünen, erwarte ich mehr. GABI AUTH, Essen

Besser, jemand ist arbeitslos

■ betr.: „Der Euro wird die Krise überstehen“, taz vom 3. 2. 12

„Wenn Beschäftigte in Frankreich arbeitslos werden, erhalten sie für zwei Jahre automatisch 60 Prozent Arbeitslosengeld. Als Gegenleistung müssen sie nur den Eindruck erwecken, als suchten sie eine neue Stelle. Das ist eine totale Verschwendung öffentlichen Geldes.“ (Charles Wyplosz)

Ich finde für die Gesellschaft insgesamt ist es besser, jemand ist arbeitslos und macht, was ihm Spaß macht, als dass er Tellerminen bauen muss, als Investmentbanker die Welt in den Ruin treiben, als Professor Dummheit lehren oder als Politiker den nächsten Krieg anzetteln. Es gibt so viele Jobs in der westlichen Welt, die mehr Probleme bereiten als lösen. Warum man an diesen überholten Vorstellungen festhält, bleibt mir ein Rätsel.

Zum anderen verstehe ich unter „totaler Verschwendung öffentlichen Geldes“ ein System, das es zulässt, dass immer größere Teile der (europäischen) Gesellschaft verarmen, während andere Teile im Überfluss leben oder Einkommen bar jeder Vernunft beziehen. Einkommen und Pensionen von (EU-)Politikern und (EU-)Beamten sollte man am Existenzminimum und der Armutsquote bemessen und nicht an den irrationalen Vorstellungen der selbsternannten Elite. KARL PONGRATZ, Alomos

Mit erhobenem Zeigefinger

■ betr.: „Der Soziologe als Intellektueller“, taz vom 31. 1. 12

Kann man an einem Anspruch scheitern, dem man sich nie gestellt hat? Honneth scheint in seinem Nachruf zu Bourdieu dieser Auffassung zu sein. Dieser habe als Intellektueller scheitern müssen, weil er es versäumt habe, in der „soziologischen Erschließung der Wirklichkeit“ die „normativen Gesichtspunkte“ zur Kritik derselben gleich mit zu Tage zu fördern (ein Schelm, wer in dieser Aufgabenstellung einen Zirkelschluss vermutet).

Eine Aufgabenstellung, die Axel Honneth mit erhobenem Zeigefinger dem vor zehn Jahren verstorbenen Soziologen noch einmal ins Grab hinterherruft – obwohl sie dessen Denken fremd gewesen wäre –, weil Jürgen Habermas sie dereinst zur Aufgabe eines jeden Sozialphilosophen erklärt hat. Eine Aufgabenstellung, der unzählige deutsche Akademiker in Habermas’ Kielwasser ihre vielversprechenden intellektuellen Biografien (und nebenbei häufig ihr politisches Engagement) geopfert haben. Als könne man ohne solch mühsam aus der Wirklichkeit destillierten normativen Universalien Macht, Herrschaft, Unterdrückung und Ausbeutung nicht kritisieren, indem man die bürgerliche Gesellschaft ganz einfach an ihren eigenen Ansprüchen misst. Weshalb Bourdieu sich ja auch – ganz im Gegensatz zu den zauderhaft noch immer mit der Normensuche beschäftigten deutschen Sozialphilosophen – in die politische Praxis eingemischt und Widerstandsbewegungen mit Wort und Tat unterstützt hat. OLAF RAHMSTORF, Konstanz

Die Vergangenheit der Dienste

■ betr.: „Die Geheimakte Klaus Barbie“, taz vom 31. 1. 12

Zu dem ausgezeichneten Bericht von Peter Hammerschmidt, dem als Historiker die Einsichtnahme in die Akte Barbies „aus Sicherheitsgründen“ verwehrt wurde, möchte ich noch eine Information beisteuern: Im Jahre 2007 „entsorgte“ der BND 253 Personalakten von 60 ehemaligen Mitarbeitern mit NS-Vergangenheit (Der Spiegel, 49/2011

Inzwischen ist es kein Geheimnis mehr, dass die deutschen Nachrichtendienste Nazi-Schergen vom Schlage Barbies und Mengeles entkommen ließen, unterstützten und es ihnen so ermöglichten, ihre menschenfeindliche Folterpraxis in Südamerika nahtlos fortzusetzen.

Diese Vergangenheit der Dienste kann nicht mehr vertuscht werden. Aber welches Licht werfen die Vernichtung von Akten oder die Behinderung historischer Forschungstätigkeit auf die politische Orientierung dieser Behörde heute? Warum ist kein souveräner, offener Umfang mit der braunen Vergangenheit und den Verbrechen der Nazis möglich? Wessen „Sicherheit“ soll hier verteidigt werden? Gerade angesichts der Neonazi-Morde, wo die sogenannten „Pannenserie“ Aufsehen erregte, wäre es an der Zeit, diese Fragen endlich zu beantworten. ANNE ARNOLD, Berlin