Schweine-Kunst

KLANGPOLITIK Vom Schweine-Grunzen bis zum Menschen-Schmatzen: Matthew Herbert hat auf „One Pig“ das Leben und Sterben eines Hausschweins akustisch dokumentiert

Das Album thematisiert das mehr als fragwürdige Verhältnis von Mensch und Tier

VON MICHAEL SAAGER

Aller guten Dinge sind drei. Aber auch Matthew Herbert, arbeitswütiger Sample-Spezialist, House-Aficionado, Musikpolitiker, Big-Band-Jazzer und Komponist konzeptioneller Popmusik aus dem Geiste Neuer Musik und der (Neo-)Klassik, fing vor zwei Jahren bei eins an: mit „One One“ eröffnete er eine spannende Trilogie, die nach „One Club“ mit „One Pig“ nun Ende letzten Jahres ihren konzeptionellen Schluss- und Höhepunkt erreicht hat.

Aber der Reihe nach: „One One“ ist feingliedrigster elektronischer Pop. Der 1972 in England geborene Herbert, der unter wechselnden Pseudonymen wie Doctor Rockit, Wishmountain oder Radio Boy die Intelligent-Dance-Musikszene (IDM) ja zumeist mit Instrumentalmusik aufzumischen verstand, singt hier zum ersten Mal seit 15 Jahren selbst. Mit einem leicht souligen Timbre, das an den großen Art-Popper Robert Wyatt erinnert. Überraschend schwierig fand er das Singen, umso leichter scheint ihm das Komponieren, Spielen und Produzieren von der Hand gegangen zu sein: Nicht die Andeutung einer Anstrengung ist da zu hören, dafür federnde Beats, phantasievolle Percussion, erlesene Sounds und melodische Themen verschiedener Instrumente von einiger Subtilität.

Fürs zweite Album „One Club“ griff Herbert dann auf im Offenbacher Club Robert Johnson aufgezeichnete Field-Recordings zurück. Ausschließlich aus Klängen und Geräuschen, die Herbert während des regulären Clubbetriebs aufgenommen hat, besteht das Album. Aber das Resultat ist, anders als es im Infozettel zur CD behauptet wird, nicht unbedingt die vertonte Essenz einer rauschenden Clubnacht. Dafür ist das Ergebnis zu radikal, zu spitz und zu kantig, zu sehr interessiert an der Möglichkeit der offenen Form. Und während „One Club“ dem einen die Ohren weit öffnet, fallen sie dem anderen, dem klassischen Raver etwa, in Anbetracht von Herberts nervös-noisigen Electro-House-Maschinenfunks vermutlich gleich wieder zu.

„One Pig“ schließlich dokumentiert das knapp zweijährige Leben und Sterben eines Hausschweins. Der Tageszeitung junge welt erzählte Herbert: „Kein Haustier polarisiert die Gemüter und die Kulturen so sehr wie das Schwein. Manche finden es eklig, andere glauben, ohne Schweinefleisch nicht leben zu können. Auch wenn erwachsene Menschen in der westlichen Welt Schweinefleisch immer negativer gegenüberstehen, so sind wir doch zumindest von seinen Nebenprodukten abhängig. Die Verwertung von Schweinefleisch findet hinter verschlossenen Türen statt, ich wollte diese unsichtbare Welt hörbar machen.“

Das Tier, das keinen Namen hatte, gehörte einem Bauern aus Herberts näherer Umgebung. Zuvor hatte er in verschiedenen seiner Lieblingsrestaurants nachgefragt, woher die Küchen ihr Fleisch beziehen. Die Nachhaltigkeit bei der Produktion war ihm wichtig. Schließlich fand er seinen Bauern und machte sich auf dessen Hof an die Feldaufnahmen. Aber als das Schwein nach dem Schlachtvorgang schließlich ohne Kopf und sauber in zwei Hälften zerlegt zurückkam, war er traurig. Freundschaft hatte er mit dem Schwein zuvor freilich keine geschlossen. Aber seit diesem, wie er es nennt, „brutalen viszeralen Experiment“ möchte Herbert kein Schweinefleisch mehr essen.

Die Geschichte hat noch eine andere Seite: Die Tierrechtsorganisation PETA (People for Ethical Treatment of Animals) sah nichts Vernünftiges in diesem dritten Teil von Herberts „Reise in das Unbekannte“. Man warf dem Musiker vor, aus dem Leid eines Schweines Entertainment zu machen. Herbert war darob einigermaßen fassungslos. Immerhin lässt sich „One Pig“ – ein höllisch darkes Sound-Ungetüm – mit seinen heiseren Grunzern und hellen Atmern, den gewetzten Messern, den Bratgeräuschen, menschlichen Schmatzern und fröhlichen Lachern auch als (sound-)politisches Statement lesen: Das Album thematisiert das mehr als fragwürdige Verhältnis von Mensch und Tier.

Nicht Herberts Kunst ist grausam. Auf eine Welt, in der Tonnen von (Schweine-)Fleisch verzehrt, in der wir uns Jahr um Jahr blind, blöd und gleichgültig der Lebensmittelindustrie an den Hals werfen, sollte man unbedingt verweisen dürfen. Nicht zuletzt in Form von Kunst.

■ Mi, 8. 2., 20 Uhr, Kampnagel, Jarrestraße 20