Maskenball der Geschichte

HOMMAGE Triebschicksale, Ideologien, Mythen: Das Schwule Museum feiert den Autor und Filmemacher Pier Paolo Pasolini, der im März 90 Jahre alt geworden wäre, mit einer an Fundstücken reichen Ausstellung

Pasolini sah sich vor allem als Schriftsteller, die Schau legt den Akzent auf die Filme

VON BERT REBHANDL

Eine Kleinanzeige aus dem Berliner tip anno 1983: „M, 27, 189, 72, sucht Partner für ziemlich ausgefallene Spiele. Kennwort: Pasolini.“ Die Verbindung der sexuellen Vorlust mit dem großen Namen ist ein kleines, aber signifikantes Detail in der Ausstellung, die das Schwule Museum als Hommage zum 90. Geburtstag von Pier Paolo Pasolini gestaltet hat. Sie erinnert an eine Zeit, in der Sexualität viel stärker als heute als politisch begriffen wurde. Und sie erinnert vielleicht auch einfach daran, dass Pasolini ein attraktiver Mann war. Als Schriftsteller hatte er in seinem Romanfragment „Petrolio“ ausführlich vom „Penis und seiner Gewalttätigkeit“ geschrieben, ganz zu schweigen von den Ritualen in „Saló oder Die 120 Tage von Sodom“.

Natürlich wird man Pasolini nicht gerecht, wenn man ihn nur als Inspiration für ziemlich ausgefallene Spiele nimmt. Dazu war er als Theoretiker zu ehrgeizig, ging er als Homo politicus zu stark aufs Ganze, umfasst sein literarisches und filmisches Werk zu sehr die ganze Kulturgeschichte. Die ausgefallenen Spiele sind also in seinem Kosmos zugleich die ganz normalen, zu denen uns die Triebschicksale, die Ideologien, die Mythen verleiten. Befreien können wir uns daraus, indem wir zwischen „Besessenheit“ und „Besessenwerden“ die Spannung aushalten.

Dem Charakter des Ortes und der Institution entsprechend, ist die Ausstellung im Schwulen Museum eher ein liebevoller Gruß als eine repräsentative Veranstaltung. Sie überzeugt durch kleine Funde wie das genannte Inserat aus dem Berliner Stadtmagazin oder durch eine Zeitungsseite aus der Frankfurter Rundschau, auf der Wolfram Schüttes ganzseitiger Text über „Petrolio“ nachzulesen ist.

Pasolini prägte ein ganzes kritisches Milieu, das nach seinem Tod 1975 allmählich ins Abseits geriet. Interessant wäre vielleicht gewesen, ein wenig nachzuforschen, ob es jenseits der Erben der Kritischen Theorie eine neue, jüngere Pasolini-Rezeption gibt. Auch an der „Würdigungswand“, die bei vergleichbaren Ausstellungen im Schwulen Museum zu einer vertrauten Gewohnheit geworden ist und auf der Zitate mit Porträtbildern zusammengebracht werden, findet sich kaum eine Person diesseits der 50, die mit einer Äußerung über Pasolini vertreten wäre. Dabei wäre das Programm, wie Godard es formuliert hat, „mit Marx, Freud und (dem Komiker) Totó“ einen „Maskenball der Geschichte“ auszurufen, doch durchaus zeitgemäß. Schließlich leben wir in einer Ära, in der sich das Aufschrecken aus dem posthistorischen Schlaf der neunziger Jahre mit einem prekären Gefühl von Déjà-vu verbindet – sei es nun mit Bezug auf die große Depression vor dem Zweiten Weltkrieg, auf den Bonanzakapitalismus des späten 19. Jahrhunderts, oder – für Pasolini von wesentliche stärkerem Belang – auf den weltgeschichtlichen Auftritt der „Dritten Welt“.

Dies alles als „Maskenball“ in Gedanken gefasst zu haben, etwa in seinen Skizzen für eine „afrikanische Orestie“, das war Pasolinis einzigartig analogische Denkform. In der Ausstellung im Schwulen Museum kommt der Intellektuelle Pasolini gegenüber dem Filmschaffenden eher zu kurz. Das liegt wohl an dem zugänglichen Material. Fotografisch sind die Dreharbeiten besser erschlossen als das Schreiben, Intervenieren, und so optiert die Ausstellung gegen Pasolinis eigene, hier noch einmal deutlich gemachte Selbstdefinition („Ich bin einfach ein Schriftsteller“) für die ebenso plausible Gegenbehauptung, derzufolge er einfach ein Filmemacher war.

Unter den zahlreichen Fotografien ragt eine „private“ Serie heraus, die Dino Pedriali von dem späten Pasolini angefertigt hat – ein inszeniert-voyeuristisches Protokoll, fotografiert durch das Fenster von außen (Dunkelheit) in das Innere des erhellten Raums, im dem Pasolini allein war – wohl wissend, dass er sich zugleich im Sucher befand.

Diese Exponierung war für ihn politisches Programm. Deswegen sind es zwei Kunstwerke bzw. Readymades, die der Ausstellung ein starkes Zentrum geben: Kurt Starcks Arbeit „Ostia“ enthält nichts weiter als Sand in Gläsern, Sand von dem Ort, an dem Pasolini getötet wurde. Und wie in einem Weihekelch befinden sich in der Mitte des Hauptraums ein paar Knollen Fenchel. „Finocch’“, so lautet im italienischen Slang das Wort für „Schwuchtel“, das wiederum manchmal für ausgefallene Spiele steht, bei Pasolini aber eben auch für die Haltung der prinzipiellen Dissidenz, die einzig der gegenwärtigen Gesellschaft angemessen ist.

■ Schwules Museum, Mehringdamm 61, bis 1. Mai