BERNHARD PÖTTER über KINDER
: Kröten für Kinder, Kröten für Rinder

Urlaub auf dem Land erweitert das Bewusstsein. Und jetzt erst sind wir wahre Grüne

Wussten Sie, dass Kröten quietschen können? Und zwar nicht, wenn man sie auf der Landstraße überfährt, sondern wenn man genau das Gegenteil tut – sie bei ihrer Wanderung unterstützt und in einem 20-Liter-Eimer über die Straße trägt. Doch, Erdkröten können quietschen, und zwar ziemlich laut. So was lernt man beim Schwarzwaldurlaub.

Wie wird man zum Krötenträger? Man besucht Freunde, die beim BUND arbeiten und entlang der Landstraße kurz hinter Villingen-Schwenningen die Krötennetze betreuen. Eine solche Chance zur Begegnung mit der Natur lassen sich Stadtkinder natürlich nicht entgehen.

Und so stehen wir morgens um halb neun an einem kalten und sonnigen Dienstag am ersten Eimer, in dem sich drei Molche und vier fette Kröten versammelt haben. „Iieeeeh, sind die glitschig!“, ruft Jonas und überlässt das Krötenretten uns. Begeistert suchen die Kinder nach den Amphibien – aber sie in den Eimer heben, das dürfen wir.

Gut achtzig Krabbeltiere tragen wir an diesem Morgen über die Straße und in den rettenden Tümpel. Kleine Irritationen gibt es nur, als der BUND-Experte in breitem Schwäbisch erklärt, warum „der Frosch keinen Froscht mag“, und fragt, ob die Kinder wissen, wie das geht mit dem Laichen – „den Leichen?“, fragt Jonas ganz interessiert. Aber sonst sind alle glücklich: Die Kröten können in Ruhe quietschen, die Autofahrer müssen nicht bremsen, Jonas weiß jetzt, wie sich „Spinnenbein und Krötenschleim“ anfühlt – und ich habe eine zutiefst politische Tat hinter mir.

Jawohl: In Zeiten von Visaaffäre und dem anschwellenden Abgesang auf Rot-Grün erkläre ich ganz offen: Ich trage Kröten über die Straße. Danach fühlt man sich wie ein echter Grüner – gerade, weil die Tierschutzaktion nichts mehr mit der heutigen Arbeit von Bündnis 90/Die Grünen zu tun hat. Wäre ich Sozi, hätte ich für dieses Gefühl 2.000 Meter unter die Erde fahren müssen, um in einem engen Schacht Kohle aus der Wand zu stemmen.

Wäre ich Christdemokrat, hätte ich vor der Mittelstandsvereinigung über Familienwerte reden und einen gesetzesbrechenden Altkanzler als Vorbild preisen müssen. Als FDPler hätte ich für diesen Kick ein Steuerschlupfloch für mein Unternehmen finden müssen, als PDSler mir eine Lebensmittelvergiftung mit Club-Cola holen müssen.

Dann lieber Kröten.

Über eine andere Gattung von Kröten wurde dann abends diskutiert. Im „Krauthäusle“, einem idealen Ort für Ferien auf dem Bauernhof, umfasst das Angebot Kühe, Ziegen, Esel, Kaninchen, den Pfau Romeo, Selbstbedienung bei der Milch und einen siebenjährigen Baggerfahrer. Und eine Bäuerin, mit der ich nach zehn Minuten tief in die Details der europäischen Agrarpolitik versunken bin: Bäuerin: „Sie kriegen doch Kindergeld. Wie würde Ihnen das gefallen: Dauernd kommt jemand bei Ihnen unangemeldet kontrollieren, ob Ihre Kinder eine warme Mahlzeit am Tag kriegen. Wenn sie in der Schule versagen, wird Ihnen das Kindergeld gekürzt. Und wehe, eines der Kinder wird mal im Supermarkt beim Klauen erwischt. Dann müssen Sie fünf Jahre Kindergeld zurückzahlen.“

Die Frau hat Recht. Bisher war ich immer der Meinung, man könne den deutschen Bauern nicht streng genug auf die Finger schauen. Aber sehen wir es doch mal so: Die Bäuerin und wir werden dafür subventioniert, Nachkommen einer bestimmten Spezies großzuziehen. Der Staat gibt mir Kindergeld, weil er sich Kinder wünscht. Der Staat gibt der Bäuerin Rindergeld, weil er Kühe haben will. Oder auch nicht, denn Schlachtprämien gibt es nur für Rinder. Die Bäuerin liebt ihre Schützlinge und hält sie für hochgradig intelligent. Sie muss nachweisen, wann sie ihren Kühen welches Essen vorsetzt und wann sie welche Medikamente bekommen, mit wem sie zusammenleben und wie ihre Lebensbedingungen sind. Sie muss belegen können, woher die Tiere stammen und was später mal aus ihnen wird.

Zur Erinnerung: Wir reden hier vom Rindergeld. Wenn das auch die Kriterien für Kindergeld wären, müssten wir unsere Windeln wohl anderweitig finanzieren.

Fotohinweis: BERNHARD PÖTTER KINDER Fragen zu Rindviechern? kolumne@taz.de Morgen: Bettina Gaus über FERNSEHEN