Showdown im Leichenschauhaus

An der Bonner Oper spielt Mozarts „Don Giovanni“ in der Pathologie – mit allen Klinik-Accessoires, die dazu passen. Kulisse und Kostüme kommen durch modernistischen Zuschnitt in kaltem Chic daher

VON FRIEDER REININGHAUS

Die Situation soll klinisch sein. In Bonn wurde Lorenzo da Pontes Handlung in eine Pathologische Anstalt übertragen. Zum heftigen d-moll der Ouverture eröffnet sich der Blick in eine Leichenschauhalle. Hinter einer Mattscheibe, auf die das Geäder einer Hand vergrößert wurde, treten Donna Anna und Don Ottavio, Zerlina und Masetto hervor. Sie nehmen ebenso wie die in Klostertracht gehüllte Donna Elvira Abschied von Don Giovanni, der sich in der Mitte auf der Liege befindet. Ein Aspekt des Finales der Oper wurde auf deren Anfang projiziert.

Unverändert bleibt das Ambiente zunächst für Leporellos Klage, bei den Amouren seines Herrn Wache stehen zu müssen. Auch für Donna Annas Verfolgung des Maskierten, der in ihr Schlafzimmer eindrang und dann ihren Vater, der sich mit dem Degen in den Weg stellt, ersticht. Sterbend schleppt sich der Komtur auf den Seziertisch und wird auch vom Fließband weggeschafft. Allmählich entschwinden die Klinik-Accessoires.

Es bleibt der kahle Raum. In ihn schieben fröhliche italienische Landleute von hier und heute ihre Partnerinnen auf nagelneuen Schubkarren zu Zerlinas Polterabend. In ihm inszeniert Don Giovanni mit Personal in Rokoko-Perücken sein libertinäres Fest. Der hochgewachsene schlanke Andreas Macco versteht es – anders als die mit allzu magerer Stimme ausgestattete Irina Okina (als Hauptkontrahentin Anna) –, aristokratische Allüren zu mimen. Doch dass und wie er sich am Ende des ersten Akts aus der Umzingelung befreit, versäumt die Inszenierung zu zeigen. Don Giovanni wird durch freien Willen einfach frei – die drei properen jungen Frauen und ihre Galane, die ihn so sehr in die Enge trieben, gehen einfach ab in die Garderobe.

Generalintendant Klaus Weise setzt Mozarts Oper auf rationalistische Weise zu. Er lässt alle in der Dämmerung oder Nacht spielenden Szenen hell illuminieren und ernüchtert Kulisse und Kostümierungen des 18. Jahrhunderts durch modernistischen Zuschnitt. Nachdem der Komtur zu Don Giovannis letztem Abendmahl nicht etwa als steinerner Gast zur Tür hereingekommt, sondern als angefaulter Mondkopf vom Bühnenhimmel heruntergesunken war, schlägt doch noch das Wunder zu: Zuerst wird der gescheiterte große Verführer beim Showdown von der großen kalten Hand der Apparatemedizin berührt, dann aber von teuflischer Macht in die Höllenflammen gezogen. Woher aber kommt nun gleich wieder die schöne Leiche? Vier Weißkittel schieben sie zum Schluss-Sextett in das vom Anfang her schon bekannte Leichenschauhaus. Die Produktion endet mit dem kalten Chic, mit dem sie begann.

Der inkonsistenten Inszenierung steht eine achtbare musikalische Leistung gegenüber. Erich Wächter kann zwar Bühne und Graben nicht immer ganz synchron steuern, animiert freilich das Beethoven Orchester Bonn zu einer seiner besseren Leistungen. Martin Tzonev singt und spielt den Leporello mit Verve, und Anna Virovlansky ist als robust animierende Zerlina hörens- und sehenswert.

Nächste Termine: 23. und 28. April, 5., 11., 13., 22., 25. Mai; Karten unter 0228/ 77 80 08