Ein anachronistisches Experiment

Jahrzehntelang hat die Hochschule Bremen am Neustadtswall einen kleinen Atomreaktor betrieben. Allein die Studierenden interessierte es wenig: Sie blieben einfach weg. Für den Strahlenmüll aber muss die Hochschule heute noch zahlen

Was liegt in einem Bunker, gut bewacht, in Hanau, belastet den Etat der Hochschule Bremen jährlich mit etlichen tausend Euro und zwingt einen Hochschuljuristen, sich mit Wiederaufarbeitungsverträgen und Atomrechtsgenehmigungen herumzuschlagen? Es sind die strahlenden Hinterlassenschaften des ersten und bisher einzigen Bremer Atomreaktors.

Gut dreimal drei Meter groß stand der bis vor wenigen Jahren in der Bremer Neustadt, genauer gesagt: im Labor für Energetik des Fachbereichs Maschinenbau, Neustadtswall, Erdgeschoss. In Kern- und Reaktortechnik wurden Studierende hier ausgebildet, bei Schiffsbauingenieuren stand der Aufbau und Betrieb von Reaktoren sogar auf dem Pflichtprogramm – ganze Flotten von atomgetriebenen Frachtern sollten sie schließlich dereinst über die Weltmeere schippern. Zwar zog die Anti-AKW-Gruppe um den Bremer Uni-Professor Jens Scheer auf Flugblättern über die Atomanlage her. Selbst in der Szene jedoch blieb der Mini-Reaktor vielen schlicht unbekannt. „Ich wusste das nicht“, bestätigt Peter Willers, damals einer der Köpfe der Bewegung, und auch Mitstreiterin Helga Rinsky schüttelt bloß den Kopf: „Wir hätten uns sonst schon ein bisschen darum gekümmert.“

Andere, die es wussten, hatten Wichtigeres im Kopf. Damals habe der Bau von Dutzenden von großen AKWs auf dem Plan gestanden, sagt etwa Dieter von Ehrenstein, Kernphysiker an der Bremer Uni, um den Bau des Schnellen Brüters und von Wiederaufarbeitungsanlagen habe man gestritten. Der Siemens-Unterrichtsreaktor an der Hochschule, gerade einmal 100 Milliwatt stark, „der hat überhaupt keine Rolle gespielt“.

Das Aus für die Atomanlage ließ trotzdem nicht allzu lange auf sich warten. Der Atomfrachter „Otto Hahn“, Symbol der nuklearen Schiffsträume, wurde 1978 eingemottet und auf Diesel umgerüstet, die Schiffbauingenieure zogen in die neue Hochschule nach Bremerhaven. Und der gesellschaftliche Meinungsumschwung ließ auch an der Hochschule seine Spuren. Regelplatten heben, Strahlung messen, Neutronen bremsen – all das wollte auf einmal kaum noch einer lernen. Das Interesse der Studierenden an der einst als „Zukunftsindustrie“ gefeierten Atomtechnik, berichtet Karl Potthast, ehemals Professor im Fachbereich Maschinenbau, sei „ganz stark abgebröckelt“: „Das hat sich eben alles zerschlagen.“ Hubert Willmeroth, Jurist und sowas wie der nukleare Nachlassverwalter der Hochschule, sagt: „Wir sind auf dem Ding sitzen geblieben.“

Was das bedeutet, weiß keiner besser als Willmeroth selbst. Zwar ist der Mini-Reaktor, der kaum strahlte, längst verschrottet, die Räume freigemessen, der Beton als Bauschutt entsorgt. Den Spezial-Brennstoff aus Kunststoff und einem knappen Pfund Uran jedoch hat die Hochschule weiter am Hacken. Man sei, weiß Willmeroth, weiterhin „in der atomrechtlichen Verantwortung“.

Was eine durchaus kostspielige Angelegenheit ist. Erst musste die Hochschule eigens einen Behälter konstruieren lassen, um das Uran in den Bundesbunker nach Hanau zu verfrachten. Dann zahlte sie jahrelang üppig Miete für den Stellplatz dort. Jetzt hat die Bundesregierung angekündigt, den Bunker zum Jahresende zu schließen. Auch der Strahlenmüll aus Bremen muss dann woanders hin. Die Antwort des Bremer Senat von 1987 auf eine Anfrage der Bremer Bürgerinitiative gegen Atomanlagen liest sich demgegenüber recht blauäugig. „Eine Entsorgung“ des Atommülls, beschieden die Regierenden damals, „ist praktisch nicht erforderlich.“

Zusammen mit dem Bundesforschungsministerium und dem Dutzend anderer Universitäten, denen Siemens ebenfalls Unterrichtsreaktoren verkauft hat, verhandelt Willmeroth jetzt mit dem Radiochemischen Institut der TU Universität München. Die soll den Strahlenmüll aller Unterrichtsreaktoren in einer eigenen Apparatur wieder aufarbeiten – ein schmutziges Geschäft. Willmeroths Resümee zur atomaren Episode Bremens: „Es hat viel gekostet und nicht so viel gebracht.“ Armin Simon