Kinder, Kinder, die Akademiker sterben aus

Studiengebühren wirken wie Verhütungsmittel, fürchten Fachleute. Dabei bleiben schon heute 40 Prozent der Akademikerinnen kinderlos

„In Deutschland kriegen die Falschen die Kinder“, hatte der Jungpolitiker Daniel Bahr (FDP) im Vorlauf des Bundesverfassungsgerichtsurteils über Studiengebühren skandiert. Gemeint hatte er die dramatisch hohe Kinderlosigkeit unter AkademikerInnen: Etwa 40 Prozent von ihnen bekommen keinem eigenen Nachwuchs. Und das, obwohl doppelt so viele – also etwa 80 Prozent – sich bei ihrem Studienantritt noch mindestens ein Kind wünschen.

Über die Ursachen des hohen Prozentsatzes kinderlos bleibender AkademikerInnen gibt es verschiedene Studien. Alle weisen auf das Problem der denkbar schlechten Bedingungen für das Studieren mit Kind hin. Unflexible Studienplanung und der zunehmende finanzielle Bedarf mindern die Einsatzfähigkeit im Studium. Dazu befragte Studierende führten zudem Zeit- und Geldmangel als größte Hindernisse an. Deshalb verschieben sie die Familiengründung auf einen mehr oder weniger weit nach dem Studium gelegenen Zeitpunkt – wenn die berufliche Absicherung erfolgt ist.

Doch genau dann wird die lang gehegte Hoffnung der meisten Studierenden enttäuscht: Die Vereinbarkeit von Kind und Erwerbstätigkeit wird im Berufsleben in der Regel noch schlechter. Die extrem belastenden ersten Berufsjahre ziehen sich immer länger hin – die Kindererziehung in dieser Zeit kann kaum besser gelingen als während des Studiums.

Auch Bettina Schweizer von der Arbeitsstelle Chancengerechtigkeit an der Uni Bremen meint: „Biographisch gesehen ist das Studium ein guter Zeitpunkt, um Kinder zu bekommen.“ Die Frauenberaterin hat sich auf die Vereinbarkeit von Studium mit Kindern spezialisiert. An der Uni Bremen, sagt Schweizer, werde das Beratungs- und Kinderbetreuungsangebot im Rahmen des Möglichen weiter ausgebaut. „Doch der Rahmen ist sehr eng. Die Bestrebungen der Politik laufen unseren Bemühungen zunehmend entgegen.“

Mit Info-Material und Service-Plattformen wollen die Berater die Kinderfreundlichkeit an der Uni erhalten.

Das Dilemma des akademischen Kinderwunsches führt bei vielen Betroffenen zu Resignation. Lange schieben sie das Kinderkriegen vor sich her, bis sie – das sagt die Statistik – zu großen Teilen von ihrem Kinderwunsch wieder abrücken.

„Die Umstellung auf das System aus Bachelor und Master“, warnt Schweizer, „wird eine noch stärkere Verschulung mit sich ziehen.“ Dies mache die Zeitplanung für studierende Eltern noch schwieriger. Zwangsläufig sind die Anteile an Studierenden mit Kind in höheren Semestern mehr als dreimal so hoch wie die der kinderlosen Kommilitonen. Dabei werden die meisten Kinder zwischen dem dritten und fünften Studienjahr geboren.

Das nächste Problem: Die Einführung von „Langzeitstudiengebühren“. Sollten nun auch auf das Erststudium Gebühren erhoben werden, wie es auch Bahrs Bremer Parteigenossen fordern, wird die Situation für Eltern im Studium dramatisch. Wer weiß, dass ein riesiger Schuldenberg auf ihm lastet, wird den Wunsch nach Kindern noch schneller auf ungewisse Zeit vertagen. „Studierende mit Kindern werden damit einem immens erhöhten Druck ausgesetzt“, sagt Bettina Schweizer.

Auch das von Bremens Bildungssenator Willi Lemke favorisierte „Landeskindermodell“, bei dem Studierende mit Wohnort außerhalb Bremens Gebühren zahlen müssen, würde eher die tendenziell weniger mobilen Studierenden mit Kind treffen.

Jan Philipp Albrecht