„Nicht effektiv, aber typisch“

Was hilft, um Jugendliche vom allzu exzessiven Drogenkonsum abzuhalten: Vorbeugung oder Druck? Kommt drauf an, sagt der Hamburger Suchtexperte Rainer Thomasius, wichtig aber ist auf jeden Fall, die soziale Kompetenz der Kids zu fördern

Fast zeitgleich wurden jetzt in Bremen zwei Projekte vorgestellt, um Jugendliche vom Drogenkonsum abzuhalten (siehe Kasten rechts) – das der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat einen präventiven, das der Polizei und des Innenressorts einen repressiven Ansatz. Über den Reiz vor allem von Alkohol sowie über Sinn und Unsinn von Gegenmaßnahmen sprachen wir mit dem Experten Rainer Thomasius.

taz: Ist Alkohol als Droge bei Jugendlichen populär? Rainer Thomasius: Rauschtrinken und Alkoholabhängigkeit hat bei Jugendlichen in den vergangenen Jahren zugenommen, das haben die repräsentativen Umfragen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) aus dem Jahr 2004 und andere regionale Untersuchungen ergeben. Daher ist jede Präventionsmaßnahme zunächst einmal zu begrüßen.

Glauben Sie, dass der in Bremen eingeschlagene Weg – informieren und bekämpfen – erfolgversprechend ist?Ich bin da skeptisch. Neben der reinen Informationsvermittlung muss bei den Jugendlichen auch die soziale Kompetenz gefördert werden: Es erfordert Selbstbewusstsein, sich vom Alkoholkonsum seiner Umgebung abzugrenzen. Gleichzeitig ist auch die Schule gefordert, denn ein stressfreier Unterricht macht Schüler weniger anfällig. Prävention wirkt nicht kurzfristig, solche Maßnahmen müssen sich von der dritten Klasse an bis in die Sekundarstufe erstrecken. Studien aus England und den USA belegen, dass Prävention nur dann Erfolg hat, wenn alle diese Bedingungen erfüllt sind. Einzelmaßnahmen sind nicht effektiv, aber typisch für Deutschland.

Erreicht Aufklärung die Jugendlichen überhaupt?Normalerweise erreichen Informationsveranstaltungen nur die Alkoholdistanten und hält deren Distanz aufrecht – das ist auch nicht schlecht. Allerdings sollten solche Maßnahmen wissenschaftlich begleitet werden, um ihre Effektivität beurteilen zu können.

In Bremen wird nicht nur die Prävention großgeschrieben, es droht auch Repression: Die Polizei will verstärkt Alkoholkontrollen bei Jugendlichen durchführen.Wenn sie konsequent auf die Einhaltung der Jugendschutzgesetze achten würde, wären wir schon weiter. Repressive Maßnahmen sind problematisch, wenn der psychische oder soziale Hintergrund nicht beachtet wird. Nicht zuletzt stellt sich auch die Frage des Umgangs mit personenbezogenen Daten. Das Bremer Projekt macht den Eindruck, als stehe hier die Aufklärung im Vordergrund, und die psychosoziale Komponente ist eher eine Perspektive, etwas, was später verfolgt werden könnte. Aber beides ist gleichermaßen wichtig. In England und den USA hat man – allerdings im Bereich der illegalen Drogen – gute Erfahrungen damit gemacht, die Jugendlichen mit Interventionsteams zusammenzubringen, wenn sie drogenbezogene Straftaten begangen haben. Diese Jugendlichen werden zur Gruppen- oder Verhaltenstherapie verpflichtet, und ihr Problembewusstsein nimmt zu. In den USA misst man auch der familienbezogenen Prävention einen höheren Stellenwert bei: Sozial auffällige Familien bekommen hier Hilfestellungen, wenn ihre Kinder in der Schule oder im Kindergarten auffallen …

während in Bremen das Augenmerk vor allem auch auf Jugendliche gerichtet ist, die alkoholbedingt Straftaten begehen. Lassen die sich denn potentiell von den angedrohten Repressionen abschrecken?Bei diesen Jugendlichen gibt es zwei verschiedene Populationen. Die einen begehen die Strafdelikte im Affekt. Alkohol fördert Affekttaten, weil er das Gewissen unterdrückt und die Urteilsfähigkeit senkt. Die anderen sind dissoziale Jugendliche und leiden an einer Verhaltensstörung, die sich bereits mit acht oder neun Jahren manifestiert. Kinder und Jugendliche aus dieser Gruppe brauchen eine lang angelegte psychosoziale Betreuung, sonst hilft auch alle Repression nichts. Bei der ersten Gruppe könnte Abschreckung allerdings helfen.

Wie steht es um die Prognose für jugendliche Alkoholkonsumenten?Bei den meisten reduziert sich die riskante Gebrauchsform des Alkohols von selbst zu einem moderaten Konsummuster, wenn sie das Erwachsenenalter erreichen. Aber es bleibt eine Restpopulation, bei der genau das Gegenteil passiert.

Interview: Peter König