Schienenlobby greift Amt an

SICHERHEIT Die Allianz pro Schiene kritisiert das Eisenbahn-Bundesamt. Die Behörde hatte nach einem Radbruch hunderte S-Bahn-Wagen in Berlin aus dem Verkehr gezogen

VON RICHARD ROTHER

Im Streit über Sonderprüfungen an Zügen greift nun erstmals ein Verband das zuständige Eisenbahn-Bundesamt in Bonn an. Die Allianz pro Schiene, eine Lobby-Organisation für den Schienenverkehr, warnte am Freitag vor einer „überzogenen Sicherheitsphilosophie“. Konflikte zwischen Bahnaufsicht und Unternehmen dürften nicht „auf dem Rücken der Fahrgäste ausgetragen“ werden, sagte Allianz-pro-Schiene-Vorstand Karl-Peter Naumann. Zwischen den Verkehrsträgern werde offenbar mit zweierlei Maß gemessen. „Wenn bei einem Lkw der Reifen platzt, werden nicht alle Lkws mit dieser Reifenmarke in die Werkstatt gerufen.“ Der Schienenverkehr sei deutlich sicherer als der Straßenverkehr. Der Allianz pro Schiene gehören Umwelt- und Verkehrsverbände und Bahngewerkschaften an; unterstützt wird sie von 92 Unternehmen der Bahnbranche, darunter die Deutsche Bahn AG.

Hintergrund der Kritik ist das Vorgehen der Bahnaufsicht in Berlin. Das Amt hatte vor einer Woche zwei Drittel aller Züge der S-Bahn Berlin GmbH, eines Tochterunternehmens der Deutschen Bahn AG, wegen Sicherheitsproblemen aus dem Verkehr gezogen. Anfang Mai war in Berlin eine mit Fahrgästen besetzte S-Bahn nach einem Radbruch entgleist, nur durch Zufall wurde niemand verletzt. Bei den daraufhin angeordneten Sonderprüfungen war im Juni ein schadhaftes Rad entdeckt worden, zudem hatte die S-Bahn zugesagte Prüfungen nicht durchgeführt. „Darauf mussten wir reagieren“, hieß es bei der Bahnaufsicht.

Die Behörde wies die Kritik der Schienenlobby zurück. Es sei richtig, dass die Eisenbahn immer noch zu den sichersten Transportmitteln gehöre, so eine Sprecherin zur taz. „Dies rechtfertigt aber nicht die Forderung, bei erkannten Gefährdungspotenzialen das Risiko für Todesfälle an der Straße zu orientieren.“ Das Amt habe die Sicherheit des Schienenverkehrs zu überwachen. Die Bahnunternehmen hätten die Möglichkeit, Entscheidungen der Bahnaufsicht gerichtlich überprüfen zu lassen.

Sonderkontrollen drohen auch den Betreibern von Güterbahnen. Die Bahnaufsicht hatte am Donnerstag 19 Vertreter von Bahnunternehmen und -verbänden nach Bonn zum Rapport geladen. Dabei ging es darum, wie die Sicherheit von mehr als 100.000 Güterwagen in Deutschland gewährleistet werden kann. Grund ist ein Unglück im Juni im italienischen Viareggio: 24 Menschen starben, nachdem ein Flüssiggaswaggon nach einem Achsbruch entgleiste und explodierte.

Im DB-Güterverkehr hat es indes einen Wechsel in der Führungsspitze gegeben. Der bisherige Chef des europäischen Geschäftsfeldes DB Schenker Rail, Klaus Kremper, verlässt die Bahn. Nachfolger wird Alexander Hedderich. Er gilt als Gefolgsmann von Ex-Bahnchef Hartmut Mehdorn, der die Bahn an die Börse führen wollte. Gewerkschafter fürchten nun harte Rationalisierungsmaßnahmen im Güterverkehr, der stark unter der Wirtschaftskrise leidet.

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