„Man wird auch mal ein Datum vergessen“

Ein Schlussstrich sei dennoch unmöglich. Jan Philipp Reemtsma über Vergangenheitsbewältigung im taz-Interview

BERLIN taz ■ „Keine Schuld, aber Verantwortung“, sagt Jan Philipp Reemtsma, Direktor des Hamburger Instituts für Sozialforschung, sei die entscheidende Verlegenheitsformel deutscher Mühen, sich mit der nationalsozialistischen Vergangenheit auseinander zu setzen. Im taz-Interview sagte er, es müsse vage bleiben, was der Debatte um die Vergangenheit dienlich sei, hinter der Formel aber verberge sich auch die Zumutung, sich von dieser Vergangenheit nicht lösen zu können. Einen Schlussstrich zu ziehen, sei jedenfalls unmöglich.

Reemtsma, dessen Essay „Schuld und Verantwortung“ im taz journal „Die Macht der Erinnerung – Der 8. Mai und wir“ veröffentlicht ist, erzählte darüber hinaus, dass er sich weder positiv noch negativ mit der eigenen Familiengeschichte beschäftigt habe. Auf die Notwendigkeit der Entschädigung von Zwangsarbeitern habe er aber, „der schlechten Tradition des Landes folgend“, zu spät „reagiert“. Mit dem Tabakkonzern, der seinem Vater gehörte, habe er zwar seit über 25 Jahren nichts mehr zu tun, er habe dennoch recherchiert, ob sich noch Bilder aus jüdischem Besitz als „Diebesgut“ in seinem Haus befänden: „Die Recherchen haben nichts ergeben.“ Verblassen werde die Nazivergangenheit allemal – aber nicht verschwinden, Gedenktage vergessen, nicht jedoch der 8. Mai: „Der ist einfach sehr fest im Gedächtnis.“ Namen der KZ werden bleiben: „Das Ungeheuerliche bleibt eine anthropologische Erfahrung.“ RAB , SAT

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