Die Affen predigen

FRIEDRICH NIETZSCHE Patrick Wengenroth lädt in die Berliner Schaubühne zur „Übermensch-Revue für Alle und Keinen“, ein Abend mit Zarathustra und Popsongs

Patrick Wengenroth kommt als Nietzsche und geht als Lou Salomé. In Trainingshosen und mit unverkennbarem Schnauzer erzählt er zuerst im Plauderton über den Stress mit Schwester, Mutter und Lou Salomé. Zweimal habe er über Paul Rée um die Hand von Lou angehalten. Sie wollte nicht. Nietzsche flüchtet sich in Fantasien von Selbstermächtigung und schreibt „Also sprach Zarathustra“.

Nach diesem Prolog eröffnet Nietzsche als Showmaster die „Übermensch-Revue für Alle und Keinen“ im Studio der Schaubühne. Christoph Gawenda, Ulrich Hoppe, Sebastian Nakajew und Felix Römer unterstützen ihn dabei, zunächst als Affenhorde, später auch im smarten Anzug oder nur mit einem Lendenschurz wie Jesus. Matze Kloppe macht Musik. „Dicke Schwänze, dicke Titten. Ich will ficken“, schreit Gawenda einen Sido-Song ins Mikrofon, da hat er das Affenkostüm noch an. Pop-, Rap- und Schlagersongs begleiten Zarathustra. „Es geht auch um die Hybris des Mannes – nicht ohne Grund stehen nur Männer auf der Bühne“, erläuterte Wengenroth sein Konzept.

Skepsis, Ironie und Selbstzweifel, die ein Motor in Nietzsches Werk sind, ziehen auch Wengenroth an. Eines seiner letzten Projekte an der Schaubühne war „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“. „Christiane F. und Zarathustra haben eins gemein: Beide halten die Leere nicht mehr aus. Beide mussten eine These erfinden, um gegen diese Entfremdung anzuschreien“, führt er die Verbindung aus. „In Zarathustra erfährt jede These ihre Gegenthese – ähnlich wie in der Bibel“, sagt Wengenroth. Deshalb macht es Sinn, dass die vier Schauspieler in Rede und Gegenrede die widersprüchlichen Thesen kundtun. Sie heben dabei den Zeigefinger, die Geste der Verkündigung. Zarathustras Ton ist prophetisch, jeder Satz mit Wahrheitsanspruch aufgeladen, doch kommt der Widerspruch oft nur ein paar Zeilen später.

In der liberalen Epoche feierten die Denker der Aufklärung noch die Überwindung der Herrschaft vom Menschen über den Menschen. Die Egalität war ein Ideal – Nietzsche zweifelte daran und hielt mit der Figur des Übermenschen dagegen. Er entschleierte dabei die liberalen Utopien: Die Moral der Aufklärung entwertet der Nihilist zu Herdentugenden von Herdentieren.

„Wenn Nietzsche sagt: ‚Der Mensch ist etwas, das überwunden werden soll‘, denkt man in Zeiten von Wulff, Guttenberg und Co.: Ja! Genau!“, sagte Wengenroth im Gespräch. Als Gedankenspiel sei Zarathustra die Aufforderung nach Anarchie. Was der Inszenierung tatsächlich gelingt, ist das Spielen mit den Gedanken, dem Verständlichen durch das Rätselhafte einen Drall in eine neue Richtung zu geben.

Wengenroth lässt es sich nicht entgehen, eine der bekanntesten Passagen selbst vorzutragen. Von alten und jungen Weiblein: „Alles am Weibe ist ein Rätsel, und alles am Weibe hat eine Lösung: Sie heißt Schwangerschaft“ und „Gehst du zu Frauen? Vergiss die Peitsche nicht!“. Er nuschelt den Text fast weg, nichts mehr vom Showmaster ist da, der Nietzsche mit der gleichen Begeisterung wie Peter Licht oder Udo Jürgens vorträgt.

Schließlich verabschiedet sich Wengenroth als Lou mit pinkfarbener Glitzerpeitsche. Er fällt aus der Rolle und wird Wengenroth, der sich mit einer eigenen Fassung von Frank Zappas „Bobby Brown“ vom Publikum verabschiedet: „Ich bin der Patrick W., der Hengst des Theaters.“

ORANUS MAHMOODI

■ Heute wieder, 20.30 Uhr im Studio der Schaubühne