Die gespielte Unschuld

RECHTSEXTREMISMUS In Magdeburg demonstrieren 1.200 Neonazis. Kameradschaften und NPD vermeiden jeden Bezug auf Zwickauer Terrorzelle. Doch die Nähe der Demonstranten zum Täterumfeld ist offensichtlich

„Die Verfehlungen des Verfassungsschutzes befeuern die Verschwörungstheorien“

AUS MAGDEBURG ANDREAS SPEIT

Mit schwarzen Fahnen marschieren die Neonazis auf. Die Götterdämmerung von Richard Wagner dröhnt bei dem „Trauermarsch“ durch die Straßen. An die 1.200 Kameraden sind am Samstag dem Aufruf der „Initiative gegen das Vergessen“ um Andy Knape nach Magdeburg gefolgt, so viele wie noch nie. Es ist der erste große Aufmarsch der Rechtsradikalen in Deutschland, seit die Mordserie des Neonazitrios Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe bekannt geworden ist.

Die Nähe der Demonstranten zum Umfeld der Täter ist offensichtlich. Mitglieder des Netzwerks „Freies Netz“ sind in Magdeburg auf der Straße. Einer der führenden Kader diese Netzwerkes, Ralf Wohlleben, ist wegen Unterstützung des Neonazitrios in Untersuchungshaft. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm vor, dem Trio eine Waffe und Geld zukommen gelassen zu haben.

Verbale Bezüge aber vermeiden die Demonstranten bei ihrem Schweigemarsch anlässlich des 67. Jahrestages des Luftangriffs auf Magdeburg am 16. Januar 1945; auch bei einer Zwischenkundgebung unterbleiben laute Solidaritätserklärungen.

Das entspricht ganz der Linie der NPD. Deren Spitze um den neuen Bundsvorsitzenden Holger Apfel ist bemüht, Distanz zu den Tätern und Unterstützern zu halten. Denn die Nähe zu militanten Gesinnungsgenossen könnte als Grund für ein Parteiverbot herhalten. In Thüringen versucht die NPD in ihrer kostenlosen Regionalzeitung Wartburgkreis Bote die Morde als vom Verfassungsschutz „inszenierten Terror“ darzustellen.

Ähnlich argumentierte Parteichef Apfel schon vor Wochen im NPD-Internetportal „DS-Aktuell“. Auch in den Landtagen von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern bemühte sich die NPD, die „drei jungen Leute“ als Marionetten des Verfassungsschutzes darzustellen. Dass mit Wohlleben ein langjähriger führender NPD-Kader in Haft ist, wird beiseitegewischt. In der aktuellen Ausgabe der Parteizeitung Deutsche Stimme schreibt Holger Apfel: „Der NPD unterstellt man, dass sie mit Mördern etwas zu tun habe, doch was ist mit dem Terror im Inland, die vielen Morde an Deutschen durch Ausländer?“

In Magdeburg fällt Parteiprominenz nicht auf. Über 30 militante Kameradschaften haben zu dem Marsch aufgerufen, aber nur ein einziger NPD-Verband: der aus Sachsen-Anhalt. Schon 2001, als ein Verbot der NPD angestrebt wurde, versuchte die Partei, die engen Verbindungen zu dieser Szene nicht so sehr sichtbar werden zu lassen. Große gemeinsame Auftritte wurden vermieden.

„Die Partei weiß, um was es gehen kann“, erklärt der Rechtsextremismusexperte Martin Langebach. Nur in den militanten Strukturen der Szene dominieren die Distanzbemühungen nicht. Im Internetprojekt „Thiazi-Forum“, sagt der Soziologe von der Universität Düsseldorf, mache man sich über die Opfer lustig, die Taten würden „abgefeiert“. Bei der „größten germanischen Online-Gemeinschaft“ so die „Thiazi“-Eigenbezeichnung, findet man zudem Solidaritätsbekundungen für Wohlleben. Das „Freie Netz Jena“ etwa, das auch den Trauermarsch in Magdeburg unterstützte, erklärt in einem Forumsbeitrag, es werde sich „keinesfalls“ von „Ralf“ distanzieren. Im Gegenteil: Man sei solidarisch, weil man „das Regime für inszenierten Terror“ für verantwortlich halte.

Die Verschwörungstheorien blühen. „Die ständigen Verfehlungen des Verfassungsschutzes und die zögerliche Aufarbeitung ohne wirkliche Transparenz befeuern die Verschwörungstheorien“, sagt Langebach.