TOURISTENABWURFSTELLE
: Über den Zaun

No Problem. Ich zeig dir, wo Berlin rockt

Heute haben wir mindestens zwei, drei Gesetze gebrochen, sagte Carlos und grinste immer noch ungläubig darüber, dass ich ihn im Nieselregen über einen Zaun getrieben hatte. Wir stehen im Niemandsland irgendwo im Gleisdreieck. Ich hatte Carlos Großes versprochen. Er war auf seiner Europareise nur auf dem Sprung und wollte etwas sehen, das mehr kickte, als die „Aufgebrachten“ auf der Plaza del Sol in Madrid oder unter der Akropolis. No Problem, sagte ich, hol mich einfach in meinem Büro in Mitte ab, ich zeig dir, wo Berlin rockt.

Wir sprangen am Oranienburger Tor in die U-Bahn, quatschten und stiegen gedankenverloren in die falsche Bahn am Halleschen Tor. Mussten an der Prinzenstraße vom Bahnsteig runter und die Straße selbstmörderisch im Sprühregen überqueren. Dann strandeten wir endlich am Gleisdreieck. Ich war noch nie hier, versicherte ich Carlos, um meiner mangelnden Orientierung vorzuschützen. Lass uns dem Mädchen folgen, schlug er vor. Und in der Tat fand die zufällige Passantin den Weg zum Kühlhaus – unserem Etappenziel. Eine betonierte Hilfstreppe nach oben erklommen, standen wir vor den „Ruinen von Detroit“, Ansichten von verfallenen Opernhäuser, Theatern und Bibliotheken. Es war wohlig warm in dem angesagten Kunstspace, und dennoch zog es uns bald wieder nach draußen. Wir kämpften uns Richtung Süden vor, über Pflaster, Liguster, Stacheldraht und Zäune, ein ICE rauschte rechts an uns vorbei, der Scheinwerfer eines Wachmanns erfasste uns fast, wir ruderten durch den Schlamm und erklommen mehrere Zäune. Endlich standen wir in dem neuen Park nördlich der Yorkstraße, von da war es nur noch Katzensprung zurück in die Zivilisation. Carlos zitterte noch, als wir in der Gaststätte Zum Umsteiger einkehrten. Präg dir die Tour gut ein, sagte ich, in zwei, drei Jahren wird das hier die reinste Touristenabwurfstelle sein. TIMO BERGER