Berliner Krankheit

Krach, Attitüde, Nonsens und andere Bizarrerien: Der „Super 80“-Sampler von Rolf S. Wolkenstein versammelt Videoclips und Songs aus der Zeit, als die Frontstadt noch eine Hochburg für Hausbesetzer und Lumpendandys war

Manche sind Homöopathen oder Professoren geworden, andere arbeiten in Anwaltskanzleien, aber die meisten sind noch immer, was sie schon zu Beginn der 80er-Jahre waren: Kleinkünstler, Lokalhelden, Berliner Lumpendandys. Ben Becker, der eben noch auf der Beerdigung von Harald Juhnke war, sitzt hier als Teeniepunk in einer Taxe, schwärmt durch die Nacht und rotzt beim Aussteigen auf die Kamera. Dagegen wirkt Blixa Bargeld, dessen Band vor zwei Wochen ihr 25-jähriges Jubiläum hatte, beim Auftritt der Einstürzenden Neubauten im SO 36 irgendwann 1982 so ausgemergelt und zerbrechlich, dass man ihm kein Jahr mehr geben würde.

Die Popstars von damals haben sich erstaunlich frisch gehalten, wenn man ihnen heute im White Trash oder in einer anderen Mitte-Bar begegnet. Auch die Musik mit ihrem steifen Punkfunk zielt neuerdings wieder auf die Tanzfläche, wenn man sie nur mit genügend Electro aufmischt. Überhaupt entwickelt sich das Revival der 80er-Jahre ein bisschen absurd, sind doch die Protagonisten von einst fast alle weiterhin mit neuen Projekten im Nachtleben unterwegs.

Nur die Mythen, die man an Begriffe wie „Berliner Krankheit“, „Geniale Dilletanten“ oder „Endzeitstimmung“ koppelt, wirken nach so langer Zeit eher schon wie ein naives Krippenspiel: Schließlich ging es mit einigem Pomp um nicht viel weniger als die Geburt einer Popmusik aus Krach und Attitüde, im damaligen Tempodrom-Zelt am früheren Lenné-Dreieck, dort wo bis zum Mauerfall der Flohmarkt war. Blixa Bargeld wollte 1981 ein Weltuntergangsfestival mit befreundeten Bands machen, Wolfgang Müller wollte mit der Veranstaltung lieber die neodadaistische Bewegung der „Genialen Dilletanten“ ins Leben rufen. Gewonnen haben sie beide, wenn man sich im Nachhinein die von Rolf S. Wolkenstein zusammengestellte „Super 80“-Filmkompilation anschaut und die beiliegende CD durchhört. Das Markenzeichen für das Berlin dieser Zeit ist tatsächlich eine gehörige Portion Härte in Sachen Musik geworden, die allerdings immer wieder mit abstrusen, manchmal auch gerade wegen ihrer monotonen Blödheit witzigen Images kombiniert wird.

Es war halt Frontstadthumor: Wer würde heute noch wie in Walter Grammings Film „Hammer und Sichel“ lustvoll an den Symbolen der Sowjetmacht lutschen? Wo gibt es noch Kiezhinterhöfe, in denen die Jungs von Stiletto mit dem Motorrad durch Ladenwohnungen um die Wette rasen könnten? Und wer würde schon noch drei schwarze Gestalten in Ledermänteln beachten, die in Yana Yos „Sax“-Film auf dem Dach einer Fabriketage in ihre Saxofone quäken?

Wolkenstein hat all diese Bizarrerien genau archiviert, selbst für Valie Export & Monsti Wieners eine Minute kurzen „Bananen“-Nonsense war auf der CD Platz. Auch die Auswahl der Filme erscheint sehr stimmig, folgt sie doch der These, dass Super 8 als Medium der Punk im Filmbereich war: Die entsprechenden Kameras gab es im Gegensatz zu den seinerzeit teuren Videogeräten auf jedem Flohmarkt, die Technik ließ sich leicht bedienen – nun geh los und gründe eine Filmproduktion!

Die Ergebnisse zeigen erstaunlich oft einen Westberliner Alltag voller Selbstdarsteller. Mal entdecken kurz rasierte junge Männer ihren Körper, mal üben junge Frauen in spitzen Schuhen und Glitterkleidern ein paar Divaposen ein. Die DVD ist randvoll mit bohemistischer Extravaganz und einem Post-68er-Individualismus, aus dem sich keine wirklich zusammenhängende Bewegung rekonstruieren lässt – auch wenn alle womöglich in den gleichen besetzten Häusern wohnten. HARALD FRICKE

Berlin Super 80, Monitorpop, 39,90 €