LESERINNENBRIEFE
:

Wie wirkte Kalandia auf Sie?

■ betr.: „Junge Leader in Israel“, taz vom 10. 1. 12

Da ist er ganz ratlos, Aram Lintzel, der junge Wissenschaftler in Israel. Trotz Ratlosigkeit besitzt er die Chuzpe, Schläge auszuteilen, nicht nur gegen Slavoj Zizek, sondern jeden, der sich „ungefragt“ – welche Autoritäten gewähren Erlaubnis und schränken Meinungsfreiheit ein? – „zum Konflikt zwischen Israel und Palästinensern äußert“. Man beachte den feinen Unterschied. Wer sich äußert, „sollte nachweisen können, dass er nicht von vergifteten Obsessionen oder revisionistischer Schwatzsucht getrieben ist“. Was für ein Vokabular.

„Maßlose Projektionen“ würden zu dem Konflikt geäußert. Welches valide Maß verwenden Sie da, mein Herr? Ist Ihnen nicht klar, dass jede Meinungsäußerung projektive Persönlichkeitsanteile enthält, so wie in Ihrem Kommentar jede Zeile.

Warum haben Sie uns nicht von Ihren Erfahrungen und Eindrücken berichtet? Zum Beispiel beim Checkpoint Kalandia zwischen Jerusalem und Ramallah? Wie wirkten die käfigartigen Durchgänge auf Sie, das Verhalten der jungen, schwer bewaffneten SoldatInnen, die mit auf Sie gerichteten Gewehren Pässe und Personen kontrollieren oder mit Kollegen lachen und schäkern, während Sie warten und still sind, wie der Wachturm mit den Soldaten und ihren nach unten auf die Menschen gerichteten Gewehren? Und Kalandia selbst, das Flüchtlingsdorf? URSULA LEPPERT, München

Renner des Jahres

■ betr.: „Being Christian Wulff“, taz vom 11. 1. 12

Nun aber endlich Schluss mit dieser mediokren Wulff-Jagd! Bevor dieses Treiben zum Loch Ness des Winters wird, zum neuen Sport nach dem Motto „Jagen wir einen Politiker“. Großzügig betrachtet, ist selbst die Finanzierung von privaten Krediten eine erweiterte Nachbarschaftshilfe. Kleinkariert erscheint dagegen die ARD/ZDF-Selbstdarstellung von bezahlten Unterbringungskosten bei Freunden. Als Renner des Jahres droht uns der entsprechende private Quittungsblock zum Nachweis der Übernachtungs- und Bewirtungskosten.

JÖRG WIEHMEYER, Regensburg

Wer zahlt?

■ betr.: „Being Christian Wulff, taz vom 11. 1. 12

Im Gerangel um die Veröffentlichung der Antworten auf die vielen JournalistInnenfragen an Noch-Präsident Wulff frage ich mich: Wer zahlt eigentlich Herrn Wulffs sicher nicht billige Anwaltskanzlei Redeker (die ja laut anderem taz-Artikel vom Montag auch die Uni Köln in Sachen Kooperation mit Bayer gegen die „Coordination gegen Bayer-Gefahren“ vertritt)? Endlich mal er selbst oder wiederum die SteuerzahlerInnen? Falls Letzteres der Fall ist, würde man sich ja mit jeder zusätzlichen Nachfrage ins eigene Fleisch bzw. Portemonnaie schneiden … ULRIKE BICKEL, Bonn

Eine Verhöhnung Fassbinders

■ betr.: „Das traurige Leben der Gloria S.“, taz vom 12. 1. 12

Kann ein derartiger Film „super“ sein, Herr Kuhlbrodt?

Schon von vornherein als „witziger“ Film gekennzeichnet, beschreiben Sie etwas, was vielleicht anders gemeint sein könnte, aber wohl de facto lediglich alle Vorurteile über Hartz-IV-EmpfängerInnen und ihr (natürlich) „prolliges“ Umfeld bedient. Die Tatsache einer klischeehaften Übersteigerung der Charaktere und Handlungen ist in einer von Bild und Soap geprägten Zeit schon lange kein satirischer Ansatz mehr, die Realität zu verkaspern, auch wenn zum Beispiel Herr Sarrazin so etwas lange noch wohlwollend zugebilligt wurde, bevor sein Buch erschien. R. W. Fassbinder würde sich für einen solchen „Nachwuchs“ „bedanken“, wenn er es noch könnte. Das ist eher eine Verhöhnung seines Schaffens. PETER KOLDITZ, Marburg

Keine Trennlinie zwischen Gut und Böse

■ betr.: „Pentagon will Aufklärung über neues Skandalvideo“, taz vom 13. 1. 12

Just im Moment, als der berüchtigte Schandfleck Guantánamo sein trauriges zehnjähriges Bestehen feiert, taucht ein neues Video mit Leichen schändenden US-Soldaten auf. Einst ausgezogen, um die Afghanen von steinzeitlichen Barbaren namens Taliban zu befreien, haben die angeblichen Befreier die Grenzen zwischen sich und den Taliban mehrmals aufgeweicht. Präsident Obama wollte vor vier Jahren Guantánamo noch schließen. Heute ist keine Rede mehr davon. Die USA haben in den letzten zehn Jahren nicht „nur“ sehr viele Menschen geopfert, sondern sie haben sehr viel von ihrer Glaubwürdigkeit als Vorkämpfer für Menschenrechte verspielt. Die Gegenspieler von einst, Osama bin Laden und Saddam Hussein, sind tot, doch Fortschritte sind sowohl im Irak wie auch in Afghanistan beinahe nicht sichtbare Mangelware. Guantánamo wird weiterhin ein Schandfleck bleiben, immer mal wieder in den Schatten gestellt von neuen Skandalvideos und Bildern und mit der Einsicht, das zwischen Gut und Böse keine feste Trennlinie besteht. PASCAL MERZ, Sursee, Schweiz