Neun Jahre Haft für „Ehrenmord“

Stuttgarter Landgericht verurteilt 19-Jährigen für Mord am Liebhaber der Schwester

STUTTGART dpa ■ Das Landgericht Stuttgart hat gestern einen 19-jährigen Türken zu neun Jahren Haft wegen „Ehrenmordes“ verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er vorigen Oktober in Esslingen den Liebhaber seiner in Scheidung lebenden Schwester mit 40 Messerstichen getötet hat. Der Vorsitzende Richter erklärte, der 19-Jährige sei zwischen die Fronten eines „chaotischen Familiensystems mit Verfallserscheinungen“ geraten.

Nach dem frühen Tod des Vaters hatte der älteste Bruder die Rolle als „höchste moralische Instanz“ in der konservativen Familie übernommen. Eine verheiratete Schwester mit Liebhaber passte nicht ins Familienbild, so der Richter. Auch dass ihr Ehemann selbst eine neue Freundin hatte und sich die Eheleute einvernehmlich scheiden lassen wollten, änderte daran nichts.

Aus „doppelbödiger Moral“ habe man die Schwester als „Schlampe“ bezeichnet und ihr Schlüssel, Geld und Papiere abgenommen, um sie vom Freund zu isolieren. Wegen des „Martyriums“ erlitt sie einen Nervenzusammenbruch. Nachdem der ältere Bruder den Angeklagten wegen seines Lebensstils gerügt hatte, habe dieser sich entschlossen, den Liebhaber seiner Schwester zu töten, „um sich zu bewähren und von der Familie bewundert zu werden“. Als er den 27-Jährigen zur Rede stellte, habe der ihn ausgelacht. Aus Wut und verletztem Stolz habe er ihn in Rücken und Kopf gestochen, bis das Opfer blutüberströmt zusammenbrach, so der Richter. Mit dem Urteil blieb das Gericht knapp unter der nach Jugendstrafrecht möglichen Höchststrafe von zehn Jahren für Mord.