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30 Lehrer haben im Auftrag der Senatsverwaltung ein Suchtprophylaxe-Programm entwickelt. Finanziert wurde es vom Tabakkonzern Philip Morris. Das passt einigen Pädagogen gar nicht

Von Nicole Welgen

Philip Morris ist zwar einer der weltweit größten Hersteller von Tabakprodukten, gibt sich aber nichtsdestotrotz überaus tolerant. „Sie müssen selbstverständlich kein Raucher sein, um bei uns zu arbeiten“, heißt es auf der Homepage des Konzerns. „Wir sind davon überzeugt, dass jeder solche Entscheidungen selbst treffen sollte.“ Das Unternehmen muss sich keine Sorgen machen, dass ihm die Kunden ausgehen. Rund 20 Millionen Menschen in Deutschland rauchen, darunter auch etliche Jugendliche und nicht wenige Kinder. Die WHO-Jugendgesundheitsstudie von 2002 hat ergeben, dass 6,3 Prozent der befragten Berliner Grundschüler schon einmal geraucht haben oder regelmäßig rauchen. Im siebten Schuljahr greifen bereits ein Viertel der Kinder zur Zigarette. Von den befragten Neuntklässlern raucht fast die Hälfte.

Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport engagiert sich bereits seit 1997 intensiv in der Suchtprophylaxe. Ende vergangener Woche ist im Rahmen einer Fachtagung eine weitere Maßnahme vorgestellt worden: Im Auftrag des Schulsenators Klaus Böger (SPD) haben die 30 Koordinatoren der rund 900 Berliner Kontaktlehrer für Suchtprophylaxe gemeinsam mit dem Jenaer Organisationsberatungsinstitut Orbit e. V. ein so genanntes Qualitätsmanagementprogramm entwickelt: Es umfasst ein Handbuch und eine Internetplattform, auf der ihre Kollegen Forschungsergebnisse einsehen und sich austauschen können. Sieben Jahre wurde an dem Programm gearbeitet. So weit so gut.

Dass nicht wenige der rund 100 Kontaktlehrer die Fachtagung mit Unbehagen verließen, hat andere Gründe: Nachdem das Projekt anfangs ausschließlich aus öffentlichen Geldern finanziert worden war, hatte man sich vor drei Jahren auf die Suche nach Sponsoren machen müssen. Ob Philip Morris sich anbot oder angefragt wurde, können weder Elvira Surrmann von der Senatsverwaltung für Bildung, noch Elfriede Buben von Philip Morris sagen. Fest steht, dass sich der Konzern, der sich auf seiner Homepage brüstet, seit 1987 Führer auf dem deutschen Tabakmarkt zu sein, nach der finanziellen Unterstützung ähnlicher Kampagnen in Sachsen-Anhalt und Thüringen auch zum Sponsor des Berliner Projektes aufgeschwungen hat.

Während sich Philip Morris laut Professor Ewald Johannes Brunner, einem der Gründer von Orbit, nicht von anderen Geldgebern unterscheide, stößt die Kooperation zwischen Senatsverwaltung und Tabakunternehmen bei vielen Teilnehmern der Tagung auf Protest. Laut Johannes Spatz, Sprecher des Forums Rauchfrei in Berlin, habe sich Senator Böger zum Steigbügelhalter des Unternehmens machen lassen: „Während Philip Morris durch dieses Sponsoring als Biedermann dastehen will, ist der Konzern in Wahrheit der Brandstifter.“ Böger hatte dem Konzern bereits vor zwei Jahren für dessen aktive Bereitschaft gedankt, „dazu beizutragen, dass Kinder nicht abhängig werden und dass sie Hilfe und Ansprechpartner für ein drogenfreies Leben finden“.

Auch Doris Friedrich, die Koordinatorin für Suchtprophylaxe im Bezirk Schöneberg, ist empört: „Wir Lehrer werden benutzt, damit die Zigarettenindustrie ihr Gewissen beruhigen kann. Sie haben uns zu Kumpanen gemacht“, klagt sie. Bögers Referentin für Suchtprophylaxe, Surrmann, verteidigt hingegen die Kooperation: „Wir hätten Vorbehalte gegen eine Zusammenarbeit gehabt, falls das Unternehmen in die Entwicklung des Programms hätte eingreifen wollen. Das war jedoch nicht der Fall.“

Nach Aussage von Rainer Baeth, dem Koordinator für den Bezirk Lichtenberg, akzeptiere die Mehrheit der anwesenden Kontaktlehrer zwar die finanzielle Unterstützung des Qualitätsmanagementprogramms durch Philip Morris, da es andernfalls nicht zustande gekommen wäre. Nichtsdestotrotz wollen sich die Koordinatoren bei der Senatsverwaltung für Bildung dafür einsetzen, dass Suchtprophylaxemaßnahmen in Zukunft wieder ausschließlich aus öffentlichen Geldern finanziert werden. Für Alfred Seewald, Koordinator für den Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf, zählt letzten Endes nur das Ergebnis. „Ich sehe das ganz pragmatisch“, bekennt er, ein Glas Wein in der Hand. Fünfzehn Flaschen hat Philip Morris zum Abschluss der Suchtprophylaxetagung spendiert – aber auch Wasser. Man ist ja tolerant.