Berlin wirbt um Russen und Scheichs

WIRTSCHAFT Berlin holt auf beim Tourismus im Gesundheitsbereich

Besonders gefragt sind Krebsbehandlungen, Transplantationen und Kardiologie

Als die Vivantes-Krankenhäuser 2009 zwei Kliniken mit 200 Betten für ausländische Patienten eröffneten, hagelte es Häme: Die kriegt ihr doch nie voll. Inzwischen gibt es bei Vivantes Wartelisten. Es ist ein Beispiel für das zarte Pflänzchen Gesundheitstourismus. „Das nimmt Fahrt auf“, betonte Berlins Tourismuschef Burkhard Kieker am Donnerstag. „Wir sind im Aufhol- und Nachholprozess.“

Gemessen an den Tourismuszahlen für Berlin klingen rund 3.500 ausländische Patienten, die sich im Jahr in Berlin behandeln lassen, fast wie ein Witz. Von Januar bis Ende November kamen rund neun Millionen Touristen in die Hauptstadt, das machte 20,7 Millionen Übernachtungen. Auch bei 755.185 Patienten, die 2010 insgesamt in Berlins 80 Kliniken behandelt wurden, fallen 3.500 Ausländer nicht ins Gewicht.

Erst beim Blick auf Details wird es interessanter: Vivantes betreut heute nicht mehr 600, sondern 1.600 Patienten aus dem Ausland im Jahr. Auch die Charité steigerte sich um 20 Prozent. Besonders gefragt sind Krebsbehandlungen, Transplantationen, Neurochirurgie und Kardiologie. Die meisten Patienten kommen aus Russland. Zudem bringen kranke Gäste aus dem Ausland gern ihre Familien mit. Die bleiben bis zu 14 Tage in einem Hotel – und nicht nur zwei oder drei wie ein Städtetourist.

Für 2004 bis 2009 bescheinigt die Hochschule Bonn-Rhein-Sieg Berlin beim internationalen Patientenaufkommen ein Wachstum um 106 Prozent. Bis 2010 errechnete das Statistische Landesamt ein weiteres Drittel Steigerung seit 2008. Das liegt aber auch daran, dass die Hauptstadt von einem sehr niedrigem Niveau gestartet ist. Noch heute lockt Bayern mit seinem Zugpferd München fünfmal so viele ausländische Gesundheitstouristen an.

„Berlin brauchte nach dem Mauerfall einige Zeit, um sich zu sortieren“, sagte Kieker. Durch die geteilte Stadt habe es auch bei Kliniken viele Doppelstrukturen gegeben. Dieser Findungsprozess sei nun weitgehend abgeschlossen. Ein Manko seien auch fehlende Fremdsprachenkenntnisse in den Krankenhäusern gewesen. Dazu kam ein Mangel an Direktflügen. „Arabische Gäste steigen nicht gern um“, so Kieker. All dem wurde Stück für Stück abgeholfen. Auf manchen Stationen spricht man jetzt Russisch und Arabisch. Hoffnungen liegen auf dem neuen Flughafen in Schönefeld, der im Juni eröffnet.

Doch Gesundheitstourismus reicht nicht nur vom Check-up bis zur Operation. 1,5 Millionen Gäste kamen 2010 für Medizinkongresse nach Berlin. Doch einen Zahn will Günter Stock, Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, allen Träumern ziehen: „Mit ausländischen Patienten lässt sich das deutsche Gesundheitssystem nicht retten.“ (dpa)