Tore fünf Meter tief

Mit Druckausgleich in die dritte Dimension: In Kiel wurde der norddeutsche Meister im Unterwasserrugby ausgespielt. Ähnlich muss es aussehen, wenn Spermien um die Eizelle tanzen

Aus KielMarkus Flohr

Eins vorweg: Nein, dies ist kein Zuschauer-, kein Trendsport. Und: Ja, es sieht komisch aus; wenn im Kieler Uni-Hallenbad zwölf Sporttaucher mit dem Rücken gen Himmel im Wasser dümpeln und abwechselnd oder gleichzeitig in die Tiefe hinabgleiten. Das macht wohl Sinn, hat jemand sein Diamantkollier am Beckenboden verloren. Oder seine Unterhose. Oder so. Ziehen sich diese zwölf Taucher unter Wasser aber am Fuß, umklammern sie ihre Hüften, schieben, drängeln und behakeln sie sich, wie sie es letzten Samstag hier in Kiel taten, dann nennt man das: Unterwasserrugby. Was das ist? Eine Sportart, die es seit mehr als 30 Jahren gibt. Sie wurde von deutschen Tauchern erdacht, denen ihr Training in Hallen und Schwimmbädern zu langweilig war. Mittlerweile ist es auf der ganzen Erde verbreitet, es wird um nationale und internationale Titel gekämpft. Ungefähr 2.000 Aktive spielen in Deutschland, 70 von ihnen tauchten am Wochenende um die norddeutsche Meisterschaft. Aus Hamburg, Bremen, Berlin und Hannover waren sie angereist, ein Team hatte Heimvorteil.

„Wichtig ist der Druckausgleich“ erklärt Armin Tank, Nummer zehn des Deutschen Unterwasser Clubs Kiel, steht dabei am Beckenrand und drückt seine Nasenflügel zusammen. Armin spielt seit er zwölf ist, also seit 28 Jahren. „Du brauchst einen langen Atem. Atemgeräte haben nur die zwei Schiedsrichter, die auf dem Grund sitzen. Du selbst musst erst mal fünf Meter tief tauchen können, sonst kommst du nicht zum Tor.“ Er deutet links an die Seite des Sprungturmbeckens. Irgendwas Schwarzes steht da unten, gegenüber ebenso. Es ist ein Korb aus Metall, der wie ein Mülleimer aussieht und in den das Spielgerät – ein mit Salzwasserlösung gefüllter Ball – rein muss.

Berliner Unterwasserrugby e. V. spielt gerade gegen den DUC Hamburg. Vom Beckenrand aus ist wenig davon zu erkennen. Das schwappende Nass bricht die Sicht. An der Oberfläche tauchen die Athleten auf und ab. Wenn der Ball das Wasser verlässt, ist er im Aus. Die Akteure tragen Schwimmflossen, Taucherbrille, Schutzkappen wie die Wasserballer, Schnorchel und eine knallenge Badehose, die Frauen Anzüge. Sie erinnern an Tiefseetaucher, eine Polizei-Suchstaffel oder Korallenjäger. Oder an Kaulquappen. Alle stecken den Kopf halb ins Wasser, damit sie sehen, was unten passiert. Wenn sie auftauchen, spritzt eine kleine Fontäne aus dem Schnorchel. Laufend klettert jemand aus dem Becken, rollt sich wie eine Robbe über den Beckenrand, ein Kollege springt dann hinein.

Von der Vorderkante des Fünf-Meter-Turms ist die Sicht auf das Geschehen etwas besser, aber ab zwei Metern unter der Wasseroberfläche erkennt man nichts mehr. Unten wird es gerade hektisch, es gibt viele Blasen und kleine Wellen, ein großes Spielerknäuel bildet sich rund um die Stelle, an welcher der Ball sein muss. Die Rugbyrecken sehen aus wie Spermien an der Eizelle. Die Berliner haben blaue Hosen und sind ein wenig geschickter als die Hamburger. „Er spielt in den toten Winkel“ fachsimpelt Ralf, der für Kiel startet, und sonst an der Göttinger Uni seinen Doktor in theoretischer Physik macht. Die Schwimmer bewegen sich in Richtung Beckenecke. Ralf meint, dass er nur richtig mithalten kann, wenn er neben dem Training zweimal die Woche noch Konditions- und Tauchübungen macht. Für Anfänger sei das vielleicht ein wenig abschreckend. Mag sein. Vom Becken tönt jetzt ein halbes Dutzend Mal eine schräge und laute Hupe, bis alle Spieler kapiert haben, dass das Spiel rum ist. „Man hört eher schlecht in der Montur“ sagt Ralf. Die Taucher schwimmen aneinander vorbei und klatschen sich ab wie Eishockeyteams. Berlin gewinnt übrigens mit 3:0 Mülleimern, äh, Toren.

Gleich spielt Lübeck und Armin macht sich matchfertig. Das Spannende am Unterwasserrugby sei ja die dritte Dimension, spricht er dabei noch etwas rätselhaft und baut mit den Händen ein kleines Wasserbecken in die Luft. Was er meint, erschließt sich nur dem, der das Spiel aus einem submarinen Fenster in den Katakomben der Halle wie im Aquarium ansehen kann. Die Rugby-Spieler können, anders als an Land, nicht nur nach links oder rechts, sondern genauso nach oben und unten agieren. Sie flitzen durch das Becken wie Delphine, sie beißen sich in ihren Gegner fest wie Haie, sie winden sich wie Aale. Und manchmal kleben sie in einem großen Knäuel an einem der Tore, die einen, um es zu versperren, die anderen um den Ball hineinzustopfen. Aus dieser Perspektive ist der Sport unterhaltsam, temporeich, athletisch. Und dreidimensionaler als jeder andere.

Nun sind Schwimmhallen nicht nach den Ansprüchen des Unterwasserrugbys gebaut. Armin und auch die anderen Spielerinnen und Spieler bedauern das aber gar nicht so sehr. Der Akzent liege hier eher auf Spiel, Spaß und Freizeit und nicht so sehr auf Wettbewerb und Publikum, findet Daniela, die gerade angefangen hat, in Kiel Ökotrophologie zu studieren. Sie geht heute nicht ins Wasser, sondern sitzt an einem Tisch neben dem Becken und führt Protokoll, stoppt die Zeit. Sie startet sonst für ein Team in Paderborn und eines in Berlin. Die meisten Leute hier kennt sie. Da die Ligaspiele immer an einem Tag in turnierähnlicher Form ausgetragen werden, sehen sich die Rugbyspieler oft untereinander.

Gewonnen hat die Nord-Liga übrigens der Berliner Unterwasserrugby e. V., der damit im Mai gegen Teams aus dem Rest der Republik um die deutsche Meisterschaft im Unterwasserrugby antreten wird.