„Über den Tod hinaus“

„Das Tagebuch der Anne Frank“ im Schnürschuh-Theater: Wie das Grauen des Nationalsozialismus nachvollziehbar werden soll

Bremen taz ■ Schon in der ersten Szene versammeln sich nahezu alle Akteure auf der Bühne des Schnürschuh-Theaters und finden kaum Platz in der Kulisse aus einem altmodischen Küchenschrank, rohen Holzregalen und schmalen Schlafkammern ohne Wände. Anne Frank fällt in diesem Gewirr zunächst nicht auf: Sie ist ein fremdes Gesicht unter vielen, als sie die Bühne betritt. Zu stark haben sich die gängigen Fotos der echten Anne Frank im Kopf festgesetzt. Auch die Plakate und das Programmheft zum „Tagebuch der Anne Frank“ bekräftigen dieses Bild, gegen das Jana Köckeritz in der Hauptrolle anspielen muss.

Die Darstellung des pubertierenden Mädchens gelingt der 31-jährigen Schauspielerin überzeugend. In den besten Momenten wirkt sie so lebendig und „quecksilbrig“, wie sich Anne Frank in ihrem Tagebuch selbst beschreibt. Leider steht ihrer Spielfreude der hölzerne Text des Stücks von Frances Goodrich und Albert Hackett im Weg. Den Dialogen hört man an, dass sie bereits in den 50er-Jahren ins Deutsche übersetzt wurden. Den SchauspielerInnen gelingt es – abgesehen von wenigen Ausnahmen – dennoch Leben in den steifen Text zu bringen. Die stärksten Passagen sind wörtliche Zitate aus Anne Franks Tagebuch. Sätze wie: „Ich möchte weiterleben, über den Tod hinaus“. Journalistin oder Schriftstellerin wollte sie werden und was sie schrieb, sollte sie überleben.

Die etwas atemlose Inszenierung lässt an solchen Stellen leider wenig Raum zur Nachdenklichkeit. Ständig redet jemand, aber nur Anne wird vorgeworfen, dass sie nie den Mund halten könne. Zwar entsteht gelegentlich echte Situationskomik, etwa wenn Anne den unleidlichen Herrn van Daan abblitzen lässt, indem sie dessen Frau imitiert. Gerade gegen Ende des Stückes wünschte man sich aber mehr ruhigere Momente.

Ein freierer Umgang mit der Vorlage hätte die Schicksalsgemeinschaft im beengten Hinterhaus möglicherweise dichter an die heutige Lebenswelt herangerückt. Zielgruppe der Inszenierung sind Jugendliche ab der sechsten Klasse – ob sie durch das Theaterstück erreicht werden, bleibt offen. Im Premierenpublikum gab es kaum jugendliche Besucher. „Die gehen abends lieber ins Kino“, so Reinhard Lippelt, Leiter des Schnürschuh-Theaters. Die Nachfrage von Seiten der Schulen für die Aufführungen am Vormittag sei aber groß.

Zum 60. Jahrestag des Kriegsendes finden rund um das Theaterstück, Konzerte, Diskussionen und Lesungen statt. Begleitend ist in der Stephani-Kirche vom 10. April bis 22. Mai die Ausstellung „Anne Frank – eine Geschichte für heute“ zu sehen.

Peter König

Nächste Aufführungen: 6., 8., 9. April um 19.30 Uhr. Weitere Termine und Rahmenprogramm unter www.schnuerschuh-theater.de