DIE STIMMEN DER ANDEREN
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 Neue Zürcher Zeitung (Schweiz)

Opposition fürchtet Neuwahlen

Dass Bundespräsident Christian Wulff in die Offensive ging und das Heft des Handelns für ein paar Stunden an sich riss, lag sicher nicht zuletzt an der Bundeskanzlerin Angela Merkel, die am Mittwoch durch einen Sprecher hatte verkünden lassen, sie schätze die Arbeit des Präsidenten, erwarte aber, dass er nun alle Fragen, auch private, umfassend beantworte. Doch Merkel kann nur mahnen und drängen, nicht zwingen, streng genommen ist sie machtlos. Tritt Wulff nicht aus eigenem Antrieb zurück, kann er nur vom Verfassungsgericht abgesetzt werden. So bleibt denn vorläufig vieles in der Schwebe. Die Unwägbarkeiten einer Neuwahl erscheinen offenbar auch Sozialdemokraten und Grünen nach wie vor erheblich.

Junge Welt (Berlin)

Staatliches Ablenkungsmanöver

Vom tatsächlich stattfindenden und täglich weitergetriebenen Staatsskandal lenkt die Wulff-Chose hervorragend ab. Am Mittwoch waren zwei Monate vergangen, seitdem zwei neofaschistische Mörder tot in einem Wohnwagen in Eisenach aufgefunden wurden und in Zwickau eine Wohnung in die Luft flog. Es gibt einige Untersuchungshäftlinge, angeblich sind mehrere hundert Ermittler des Bundeskriminalamtes tätig – auf politischer Ebene herrscht scheinbare Ruhe, tatsächlich geht man dort längst zum Gegenangriff über. Motto: Von den zehn Ermordeten und den Verletzten der braunen Terroranschläge nicht reden, dafür um so mehr von der Bekämpfung alles dessen, was sich politisch links in diesem Land engagiert.

 Sega (Bulgarien)

Kein Glück für Kanzlerin Merkel

Die Geschichte mit den Krediten, die Christian Wulff mit halben Wörtern erklärt, ist nun verdrängt worden durch die für die deutsche Öffentlichkeit empörende Tatsache, dass der Präsident Chefredakteuren und Verlegern am Telefon droht. Das Präsidialamt weigert sich allerdings, diese skandalöse Tatsache zu kommentieren – mit der Schuld verratenden Erklärung, dass Vier-Augen-Gespräche nicht der Offenlegung unterliegen. Sollte Wulff doch entscheiden, vor dem Ende seiner Amtszeit zurückzutreten, würde dies den Trend stärken, dass die Kanzlerin Merkel kein Glück mit Präsidenten hat. Der frühere Bundespräsident Horst Köhler verließ sie im Mai 2010, was viele in der Bundesrepublik überrascht hatte.

 NRC Handelsblad (Niederlande)

Zwischen Amt und Person wählen

Bundeskanzlerin Merkel muss wählen zwischen Amt und Person. Sie hat den Kopf wahrlich schon voll genug mit Aufgaben in Europa. Aber die Wahl dürfte ihr nicht leicht fallen. Vor eineinhalb Jahren hat sie dafür gesorgt, dass ihr Parteifreund Christian Wulff den Posten des Bundespräsidenten bekommt und nicht der parteilose Pfarrer Joachim Gauck. Die Kanzlerin hat damit die Position des Präsidenten politisiert. Sie muss nun dafür sorgen, dass sie entpolitisiert wird in einem hoch politisierten Land. Das dürfte sie als Niederlage empfinden. Und das ist es auch. Doch sie hat nur wenige Optionen. Natürlich kann sich Wulff für den Rest seiner Amtszeit durchwursteln. Aber das wäre miserabel für das Ansehen der Politik, das auch in der Bundesrepublik Deutschland auf dem Spiel steht.

 Der Tagesspiegel (Berlin)

Kanzlerin gefährdet ihre Basis

Was hat sich Wulffs Förderin bei ihrer Personalauswahl gedacht? Wie ist es um ihr Geschick bestellt, die richtigen Leute an die richtigen Plätze zu stellen? Man stellt fest: Personalauswahl gehört zu den Stärken von Bundeskanzlerin Angela Merkel nur da, wo es um die Blockade potenzieller Konkurrenten ging und geht. Auch das muss man/frau natürlich im Sinne Machiavellis beherrschen. Wer seine eigene Position nur festigen kann, indem er Ebenbürtige oder gar Befähigtere immer wieder ins Leere laufen lässt, zerstört auf Dauer auch die eigenen Fundamente und die der ihn oder sie tragenden Partei. Das gefährdet letzten Endes auch die Stabilität des demokratischen Staatswesens selbst, an dessen Spitze die Besten und nicht die Bequemsten sein sollten.

Quelle: dpa