Worte wie Steine

Corinna Sommerhäusers „Wer will hier? Ein Abend für Egoisten“ am Thalia in der Gaußstraße

von Katrin Jäger

In der Reihe „Limited Edition“ zeigt das Thalia Theater in der Gaußstraße schon seit längerem Stücke junger RegisseurInnen, die nur ein einziges Mal gezeigt werden – süffisantes Spiel mit Vergänglichkeiten. Unter dem Motto „wer will hier“ präsentiert jetzt Corinna Sommerhäuser, Regieassistentin am Thalia Theater, ihren „Abend für Egoisten“, in dessen Verlauf drei Laien und drei ProfischauspielerInnen das Wechselspiel von Wahrnehmung und Prägung demonstrieren.

„Mich hat interessiert, wie der Mensch mit den Umwelteinflüssen, etwa seiner Erziehung und seinem sozialen Umfeld, umgeht. Ich möchte wissen, wie ihn diese Faktoren beeinflussen – und wie diese Standards zu dekonstruieren sind“, erklärt Sommerhäuser. Körperbewegt und frei assoziativ werden die Performer an diesem Abend daher mit ihren drei Textvorlagen umgehen: Peter Handkes Kaspar, Samuel Becketts Glückliche Tage und Bertolt Brechts Der Untergang des Egoisten Johann Fatzer nehmen sie ins Visier: Fatzer desertiert mit einigen Kameraden während des Ersten Weltkriegs, weil er nicht als Kanonenfutter dienen will. Winnie, Protagonistin in Glückliche Tage, vegetiert in einem Erdhaufen dahin. Vergeblich versucht sie mit ihrem Ehemann Willie Kontakt aufzunehmen und gaukelt sich jeden Abend vor, es sei ein „glücklicher Tag“ gewesen.

Peter Handke schließlich nannte seine gleichnamige Erzählung von dem tragischen Integrationsversuch Kaspar Hausers eine „Sprechfolterung“. „Kaspar hört auch bei uns die handkeschen Einsager, er versteht nicht, was sie zu erklären versuchen“, sagt Regisseurin Sommerhäuser. All diese Textvorlagen widmen sich der Entstehung menschlicher Bindungen – und ihrem Scheitern. „Es geht auch darum, mit Ordnungen und Regeln zu brechen“, erklärt Sommerhäuser.

Brechts Fatzer allerdings treibt dies ins Extrem. Der tödlichen Kriegslogik entronnen, will er die totale Anarchie, lässt sich auf keine neuen Umgangsregeln mit den anderen Flüchtlingen ein. „Er ist gleichzeitig ihr Freund und radikaler Egoist. Das finde ich spannend“, so die Regisseurin. Sie lässt gleich vier Fatzers auftreten. „Die verspannen den Raum mit Gummibändern, Winnie hält das Geflecht zwanzig Minuten lang hoch. Winnie will den Raum freihalten, kann sich aber deshalb auch nicht einmischen. Das ist wie ein Fesselungszustand, ein Bild für ihre Eigenart, alles zu vergessen.“

Sommerhäuseres Stück sucht die drei Geschichten von Winnie, Kaspar und Fatzer zu verflechten: Texte und Protagonisten reagieren aufeinander, bedingen einander – und bleiben doch textlich voneinander unabhängig. Wie die DarstellerInnen das bewerkstelligen? Indem sie versuchen, ihre Wahrnehmung für sich selbst, den Raum, die Dinge darin und die Mitspielenden zu öffnen. Es geht darum, „sich zu reduzieren, und zum Beispiel einen Tisch ganz neu zu entdecken, so dass Gegenstand und Begriff neue Bedeutung erhalten“, erläutert Sommerhäuser. Während der Improvisation sind so ungewöhnliche Bilder entstanden – aber auch ein deutlich verfeinerteres Gespür für die anderen Menschen im Raum, „wie bei einem Basketballteam, wo man sich freispielt und gleichzeitig mit den anderen Kontakt hält, genau weiß, wo die anderen sich bewegen, eine ungewöhnliche Konzentration auf die Sache“. Stichwörter wie das „du“ führen bei dieser Form des Zusammenspiels zu körperlichen Assoziationsausbrüchen; das Fazit: „Worte können wie Steine fallen“ – schwer, zielgenau und gefährlich, wenn man drunter steht.

Wahrnehmung also als Technik sinnlicher Dekonstruktion des Alltagsverständnisses von mir, meinem Tisch, meinem Freund, meinem Glas Apfelsaft und so weiter. Corinna Sommerhäuser hat diese so genannte Six Viewpoint Technik im Wiener Projekttheater Studio gelernt, als sie dort zwei Jahre lang mitgearbeitet hat. Sie versteht ihren Ansatz als politisches Theater, das „das Publikum nicht bedienen will. Uns ist wichtig, aus dem Training und der Auseinandersetzung bei der Erarbeitung des Stückes selbst etwas mitzunehmen“, sagt die Regisseurin. Wie gesagt, ein Stück für Egoisten.

So, 10.4., 21 Uhr, Thalia in der Gaußstraße