Präsidiale Allmachtsfantasien

PRESSEFREIHEIT Bundespräsident Christian Wulff versuchte bereits im Sommer 2011, unliebsame Berichterstattung zu verhindern

BERLIN taz | Während die Drohgebärden von Christian Wulff gegenüber der Bild-Zeitung immerhin einem handfesten Eigeninteresse dienten, bleibt der gestern bekannt gewordene Fall vom Sommer 2011 rätselhaft. Bei der Bild-Intervention ging es immerhin um Wulffs fragwürdigen Privatkredit, die Welt stellte in einem Familienporträt mit der „Geschichte der heimlichen Schwester“ dagegen lediglich eine bislang unbekannte Halbschwester des Bundespräsidenten vor. Doch auch hier nahm Wulff erheblichen Anstoß und intervenierte bei der Welt-Chefredaktion und bei Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner.

Wie Welt-Chefredakteur Jan-Eric Peters gestern der taz bestätigte, hatte Wulff zunächst einen der drei Autoren der Geschichte zu sich zitiert. Schriftliche Anfragen der WamS an den Präsidenten waren zuvor unbeantwortet geblieben, stattdessen, so Peters, „gingen in der Redaktion mehrere Anrufe aus dem Bundespräsidialamt ein, mit dem Ziel, die Geschichte zu verhindern. Als klar war, dass wir den Artikel trotzdem veröffentlichen wollten, wurde einer der Reporter am Samstag wenige Stunden vor Redaktionsschluss ins Schloss Bellevue gebeten.“ Dort drohte Wulff dem Redakteur in einer einstündigen Unterredung „mit unangenehmen und öffentlichkeitswirksamen Konsequenzen“, so Peters heute. So habe Wulff für den Fall der Veröffentlichung eine Pressekonferenz angekündigt, auf der er erklären werde, dass das Blatt „eine Grenze überschritten“ hätte. Außerdem drohte der Bundespräsident, der Welt-Gruppe „die Zusammenarbeit aufzukündigen“. Anschließend habe Wulff – wie auch vor drei Wochen bei seinen Bild-Anrufen – auch noch höchste Stellen der Axel Springer AG kontaktiert, um eine Veröffentlichung doch noch zu verhindern.

Der Beitrag – Vorspann: „Als Bundespräsident ist Christian Wulff, wie man es von ihm erwartet hatte: nett, solide, leise. Doch in seiner Familie ging es nicht immer so ruhig zu“ – erschien wie geplant am 26. Juni 2010 in der Welt am Sonntag. Aus der Welt-Redaktion heißt es, das Bundespräsidialamt und namentlich dessen Chef Lothar Hagebölling hätten sich anschließend zwischen den Zeilen für die Aktion entschuldigt. Es gab natürlich weder eine Pressekonferenz noch sonst irgendetwas. Nur bei seinem nächsten Interview habe der Bundespräsident ausdrücklich darauf bestanden, dass es nicht in der Welt am Sonntag, sondern nur in einer Wochentags-Ausgabe der Welt erscheine. Danach war offenbar alles wieder gut. Auch in der laufenden Kreditaffäre habe Wulff mehrfach Welt-Anfragen ganz normal beantwortet. Weshalb sie nun im Springer-Verlag wie schon im Sommer 2010 rätseln, „wo eigentlich das Problem liegt und warum der Bundespräsident den ganzen Zinnober veranstaltet“. STEFFEN GRIMBERG