Das Wulff- O-Meter

SERVICE Sollen Sie Wulffs Rücktritt fordern? Analysieren Sie die Wulff-Affäre auf der linken Seite, addieren Sie die Punkte Ihrer Antworten – und erfahren Sie auf der rechten Seite, welche Haltung zu Ihnen passt

Urlaub mit guten Freunden – oder zumindest bei guten Freunden: Wer macht das nicht gern? Als Ministerpräsident von Niedersachsen nutzte Christian Wulff nach Darstellung seiner Anwälte insgesamt sechs Mal die Anwesen von befreundeten Unternehmern für private Urlaube – etwa die Villa mit Pool des Unternehmers Egon Geerkens in Coral Springs, Florida. Oder das stattliche, auf einer Felsen thronende Anwesen von Carsten Maschmeyer auf Mallorca. Der „Drückerkönig“ Maschmeyer sponserte Wulff im Jahr 2007 auch mit Werbeanzeigen für dessen Wahlkampfbuch – angeblich ohne Wulffs Wissen. Aufgrund seiner Kontakte zum Chef von Air Berlin war Wulff nicht nur in schönen Gegenden, sondern auch gut und günstig dorthin gekommen. Dass ein kostenloses Upgrade in die Business Class einen Verstoß gegen das niedersächsische Ministergesetz war, gab er hinterher allerdings auch zu.

■ Das reicht doch schon! Rücktritt! (5 Punkte)

■ Ich mache auch Urlaub bei Freunden. Aber Politiker sollten da sensibel sein. (3 Punkte)

■ Jeder macht gern Urlaub bei Freunden. Also: Wo ist das Problem? (2 Punkte)

■ Das ist mir so was von egal. (0 Punkte)

Eine Mietwohnung im hannoverschen Philosophenviertel sei für einen Ministerpräsidenten keine Dauerlösung, fanden die Wulffs 2008. Für ein Eigenheim jedoch brauchten sie Geld. Die Scheidung von Wulffs erster Frau Christiane war teuer. Da bot ihnen der Unternehmer Egon Geerkens einen Privatkredit an. Geerkens suchte im Finanzkrisenjahr 2008 eine sichere Geldanlage. Er ist ein wirklich enger Vertrauter der Familie, war schon mit Wulffs Vater befreundet. 1988, als Wulff noch ein kleines Osnabrücker Ratsmitglied war, durfte er in Geerkens Osnabrücker Penthouse die Hochzeit mit Christiane feiern. Um nun das gelbe Klinkerhaus in Großburgwedel zu erwerben, nahm Wulff beim Ehepaar Geerkens einen Kredit über 500.000 Euro zu 4 Prozent Zinsen, eine Sicherheit musste Wulff nicht bieten. Marktüblich waren damals eher 5 Prozent oder mehr.

■ Alles Amigos! Rücktritt! (5 Punkte)

■ Lässt sich herausfinden, was Geerkens dafür alles bekommen hat? (3 Punkte)

■ Ich habe volles Vertrauen in die Person und in die Amtsführung Wulffs. (2 Punkte)

■ Gibt es einen Unterschied zwischen einem Privat- und einem Bankkredit? (1 Punkt)

Ein günstiger Privatkredit bei einem befreundeten Unternehmer sei für einen Ministerpräsidenten keine Dauerlösung, fand Wulff irgendwann – spätestens aber im Februar 2010, nachdem die Grünen im Niedersächsischen Landtag sich nach seinen Geschäftsbeziehungen zu Egon Geerkens erkundigten. Er wandte sich also – mit Geerkens wärmster Empfehlung – an die baden-württembergische BW-Bank. Diese bewilligte ihm einen ganz besonders günstigen, „rollierenden“ Kredit mit einem Zinssatz zwischen 0,9 und 2,1 Prozent. Mittlerweile findet die Bank selbst, dass Wulff nicht der typische Kunde für solche Bedingungen ist und hat eine interne Prüfung unter anderem wegen Untreue eingeleitet. Erst zum neuen Jahr – und später als behauptet – hat Wulff den Kredit in ein normales Darlehen verwandelt.

■ Das stinkt ja noch mehr als der Privatkredit! Rücktritt! (5 Punkte)

■ Die Diskussion über das höchste Staatsamt richtet nur Schaden an. (2 Punkte)

■ Die Medien sind offensichtlich nicht nur an Aufklärung interessiert. (1 Punkt)

■ Anderer Leute Kredite sind mir egal. (0 Punkte)

Wenn es um die Aufklärung kritischer Fragen an ihn geht, lässt sich Christian Wulff gern Zeit. Als im Februar 2010 die niedersächsischen Grünen fragten, ob Wulff geschäftliche Beziehungen zum Unternehmer Egon Geerkens unterhalte, verneinte Wulff – trotz des Privatkredits von dessen Ehefrau. Auch zu den immer neuen Vorwürfen, die seit dem 12. Dezember gegen ihn erhoben wurden, erklärte sich der Bundespräsident erst gar nicht, dann im Druck der Öffentlichkeit am 22. Dezember doch noch persönlich. Seinen Rücktritt erklärte Wulff dabei nicht. Stattdessen sagte er: „Ich finde es richtig, dass die Presse- und Informationsfreiheit ein hohes Gut ist in unser freiheitlichen Gesellschaft.“ Wie er es damit in der Praxis hielt, wurde erst in dieser Woche bekannt (s. unten).

■ Scheibchenweise Aufklärung ist keines Präsidenten würdig. (5 Punkte)

■ Immerhin hat er sich ab und zu erklärt. (3 Punkte)

■ Ein Bundespräsident muss auch schweigen können. (1 Punkt)

■ Soll er doch, wie er will. (0 Punkte)

Am 12. Dezember 2011, einen Tag vor einer geplanten Veröffentlichung des Artikels zu Wulffs Privatkredit durch die Bild-Zeitung, rief der Bundespräsident bei Bild-Chefredakteur Kai Diekmann, Springer-Vorstand Mathias Döpfner und bei Friede Springer selbst an – laut Bild-Zeitung, um den geplanten Text über ihn zu verhindern. Auf der Mobilbox von Bild-Chef Diekmann soll Wulff dabei von „Krieg“ gesprochen, mit Strafanzeige und dem „endgültigen Bruch“ gedroht haben.

■ Egal, was man von Bild hält: Bundespräsidenten haben keine Journalisten unter Druck zu setzen. Rücktritt! (5 Punkte)

■ Okay, keine Journalisten unter Druck setzen. Aber Bild macht ja auch keinen Journalismus. (3 Punkte)

■ Okay, keine Journalisten unter Druck setzen. Aber wenn schon, dann Diekmann! (1 Punkt)

■ Ach. Na ja. Können Diekmann und Wulff nicht einfach die Ämter tauschen? (0 Punkte)

20 bis 25 Punkte:

Die Analyse: Sie sind ein staatstreuer Empörer. Dauernd fordern Sie wegen Lappalien irgendwelche Rücktritte. Wenn es um hohe Ämter geht, sind Sie besonders schlimm. Keine Gefälligkeit, keine Nachlässigkeit, keine Schwäche entgeht Ihrem schneidenden Urteil. Haben Sie je bedacht, ob Sie einen Hang zum Autoritären haben? Sie wollen das Präsidentenamt auch dann noch, wenn es keinen mehr gibt, der es ausfüllen könnte. Anderserseits: Sie nehmen es halt genau. Das schmückt Sie. Der taz-Tipp: Machen Sie es wie immer: Fordern Sie den Rücktritt!

10 bis 19 Punkte:

Die Analyse: Sie sind verständnisvoll und sanftmütig, im Urteil präzise, aber nicht voll entschlossen. Nur weil einer ein Staatsmann ist, sagen Sie, muss er ja kein Heiliger sein. Doch die Amigo-Anwandlungen des Bundespräsidenten, die trübe Aufklärungspraxis, dann noch die Sache mit der Bild – all das gibt Ihnen das sichere Gefühl, dass Christian Wulff sein Recht verspielt hat, Präsident zu bleiben.

Der taz-Tipp: Wenn Sie jetzt schon den Rücktritt fordern, obwohl Sie ihn bald erst wollen, sind Sie Ihrer Zeit voraus. Machen Sie es wie die anderen: Fordern Sie den Rücktritt jetzt!

5 bis 9 Punkte:

Die Analyse: Sie sind tolerant und sparsam. Das Amt des Bundespräsidenten darf für Sie ruhig billig sein. Denn Sie meinen: Wer es innehat, hat ohnehin kaum etwas zu sagen. Ihre Haltung, sagen Sie, hat eine basisdemokratische, ja fast anarchische Qualität: Wulff kann bleiben, wie und wo er will. Denn wenn der Chef einer von uns ist, dann ist der Staat auch keiner von mir.

Der taz-Tipp: Vorsicht! Wer es bei anderen so locker nimmt, kann leicht in Verdacht geraten, es selbst bei der Steuer nicht so genau zu nehmen. Buchen Sie den nächsten Urlaub im Hotel. Zur Sicherheit: Fordern Sie den Rücktritt!

0 bis 4 Punkte

Die Analyse: Mit Ihnen ist das nicht einfach. Denn Ihnen ist alles schnurz. Oder Sie gehören zu den Desillusionierten. Sie wundern sich nun über die ganze Aufregung: Ist es wirklich so erstaunlich, dass ein Mächtiger so viele Mächtige kennt – und dass ein Mächtiger dann bei den Mächtigen schläft? Urlaubseinladungen und Upgrade im Flugzeug, Billigkredite, Buchsponsoring und Journalistenbeschimpfungen – das geht Ihnen völlig am Hintersten vorbei. Doch Ihnen kann geholfen werden.

Der taz-Tipp: Wenn Ihnen eh alles egal ist, dann glauben Sie den gesammelten Leitartiklern – und fordern Sie den Rücktritt!

VON MARTIN KAUL UND ULRIKE WINKELMANN