Ein Hoch auf das Conny-Froboess-Gefühl

KENNEN SIE BERLIN? (Teil 6) Tegel bietet viel: Strand, Grün, Seen. Ein Sommertext zur Sehnsuchtszeit

■ Alteingesessene und Altzugezogene werden abwinken – aber selbst ihnen bietet der neue Berlin-Reiseführer des Trescher Verlags noch unerwartete Einblicke. Insgesamt 15 taz-AutorInnen erzählen in dem Band die Geschichte von Orten, die unspektakulär daherkommen, aber auf eine ganz besondere Weise das Wesen der Metropole verkörpern. Seit 27. Dezember und auch in den kommenden Ausgaben präsentieren wir eine Auswahl.

■ S. Klimann, R. Knoller, C. Nowak: „Berlin“. Trescher 2011, 471 S., 400 Fotos, 17 Detailkarten, 16,95 Euro Erhältlich ist der Reiseführer auch im taz-Shop: shop.taz.de oder – ganz real – in der Rudi-Dutschke-Straße 23, 10969 Berlin

Ich mag Tegel. Natürlich nicht den Flughafen, auch nicht Tegelort. Dafür aber den Tegeler See mit der Greenwichpromenade. Und alles, was man von hier aus zu Fuß, mit dem Boot oder dem Rad entlang des Sees erkunden kann.

Denn Berlin wird gerühmt wegen seines Grüns und wegen seiner Seen, und immerhin ist der Tegeler See mit 408 Hektar Fläche der zweitgrößte See der Stadt, nach dem Müggelsee. Nicht so besungen wie der Wannsee, dafür ursprünglicher. Dort kann man Berlin eventfrei und unangestrengt erleben. Ein kleinbürgerliches Idyll. So wie es auch am Bodensee zu finden ist – nur nicht so wohlhabend.

In Tegel schlemmt man noch original Berliner Küche in ihrer ganz unverfälschten Art: Pommes, Haxen und danach einen Eiskaffee mit viel Sahne, bitte. Hier flaniert der Berliner Durchschnitt, den man in den Trendvierteln zwischen Kreuzberg, Prenzlauer Berg und Friedrichshain irgendwie aus den Augen verliert. Läuft man von der U-Bahn-Station die Einkaufsstraße Alt-Tegel entlang, hinunter zur Greenwichpromenade, kommt man an blühenden Vorgärten vorbei. Dort gibt es noch einen aktiven Uhrmacher, eine Tanzschule für Paartanz und den mürrischen Berliner mit seinem Marktstand. Den Spargel und die Erdbeeren, selbstverständlich auch hier aus dem Umland angeliefert, bietet er mit eher gewöhnungsbedürftiger Kaltschnäuzigkeit feil. Dem berühmten Berliner Witz eben.

Würstchen und Hunde

Fast unten am See, am Thüringer-Rostbratwurst-Stand, lecken niedliche Hunde die Wurstschalen aus, während ihre Frauchen schon Ende April in ausgeschnittenem Sommerkleid und Sandalen inbrünstig die Sonnenstrahlen suchen, bevor sie sich bei gerade mal 15 Grad eine Erkältung holen.

Am Nordostufer des Sees, unterhalb des Hotels „Seeterrassen“ an der Greenwichpromenade, befinden sich die Schiffsanlegestellen der verschiedenen Reedereien. Sonntags tummeln sich hier Familien, Paare und Jugendliche. Meist ohne Migrationshintergrund. Sie flanieren am See entlang oder fahren mit einem der Ausflugsdampfer die Havel hinunter. Um dann in den Ausflugslokalen am Ufer nostalgisch Berliner Weiße – rot oder grün – zu schlürfen.

Am Tegeler See begreift der Besucher endlich, welches Gefühl das Lied „Am Sonntag will mein Süßer mit mir segeln gehn“ auslöst. Zugegeben, ein Song aus der Mottenkiste, aber hier, wo die sechziger Jahre in Architektur und Inneneinrichtung der Kneipen bis heute stilbildend sind, passt er immer noch: Ruderer, Paddler, Segler, Motorboote scheuchen sich gegenseitig auf, um ihr überweidetes Freizeitrevier zu verteidigen, gegebenenfalls auch ziemlich lautstark.

Lauschige Plätzchen

In Tegel schlemmt man noch original Berliner Küche in ihrer unverfälschten Art

Und Conny Froboess mit ihrem Lied „Pack die Badehose ein“ lässt ohnehin grüßen (auch wenn sie eigentlich den Wannsee besang). Neben der Badeanstalt direkt am See findet man am Ufer immer wieder lauschige Plätzchen zum Picknicken oder Baden. Schattenreich, denn der Tegeler Forst grenzt netterweise direkt ans Seeufer.

Tegel, das ist Westberliner Freizeit vor der Öffnung, und damit ist nicht nur die Maueröffnung 1989 gemeint: grün, entspannt, durchschnittlich. Tegel ist der Geheimtipp für Bodenständige. EDITH KRESTA