berliner szenen Kulinarischer Anschlag

Kantinen statt Konserven

Es sei richtig, dass man in Schweden vergorenen Fisch aus aufgequollenen Konserven verspeise, die man unter Wasser öffnen müsse, damit ihr Inhalt nicht an die Wände spritze, räumte Regendolbe ein. Doch sei dies nichts gegen den Ekel, den ihm Berliner Kantinenküchen verursachten.

Unlängst habe es der befreundete Verleger Sudelgeier wieder einmal vermocht, Regendolbe in die Kreuzberger Finanzamts-Mensa zu zerren, um ihn dort auf ein Schweineschnitzel zu wichtigen Erörterungen der Philosophie Friedrich Nietzsches zu bewegen. Die Kantine, dubioserweise in einer Art Schloss situiert, habe aber derart nach ranzigem Frittierfett gestunken, dass es ihm sofort den Magen umgedreht habe, berichtete Regendolbe.

Während Sudelgeier ihm offenbar vollkommen unbeeindruckt von Robert Musils Autorschaft vorgeschwärmt habe, sei es ihm aufgefallen, dass in der Ecke des Saales einige für den Ort erstaunlich nobel gekleidete Herren gesessen hätten. Auf ihrem Tisch, so Regendolbe, habe ein altmodisches Stammtischschild mit der Aufschrift LEX MIHI ARS gestanden, dessen Bedeutung er sich überhaupt nicht habe erklären können.

Regendolbes Stimme bekam nun einen spitzen Unterton, als er sich an das öltriefende Schnitzel erinnerte, das man ihm mit einem faustgroßen Klumpen Kräuterbutter vorgesetzt habe: „Im Grunde ein kulinarischer Mordanschlag, verstehen Sie.“ Deshalb könne er es auch nicht fassen, dass Sudelgeier, nachdem er mit seiner eigenen Portion fertig war, auch noch sein unangerührtes Schnitzel, das mittlerweile im Fett über den Tellerrand zu schwimmen drohte, aufgegessen habe. „Damit komme ich bis heute nicht klar.“ JAN SÜSELBECK