Wenn selbst Sophie Scholl zur Demo geht

Ein Wochenende, drei Demonstrationen gegen rechts: In München fällt der Protest mit 6.000 Teilnehmern am größten aus, im niedersächsischen Verden gehen 5.000 Menschen auf die Straße, in Dortmund sind es 2.000. Da gehen die Nazis fast unter

AUS MÜNCHEN UND VERDEN JÖRG SCHALLENBERG
UND ANDREAS SPEIT

Als Widerstandskämpferin Sophie Scholl ist die Schauspielerin Julia Jentsch zurzeit bundesweit in den Kinosälen zu sehen – jetzt engagiert sich die 27-Jährige auch politisch gegen Rechtsextremismus. Am Samstag sprach die Darstellerin an den Münchner Kammerspielen in ihrer Heimatstadt bei einer Demonstration gegen einen Neonazi-Aufzug. „Überlasst den Nazis kein zweites Mal die Macht, überlasst ihnen nicht die Straßen, tretet ihnen entschlossen entgegen“, rief Jentsch mehreren tausend Zuhörern auf dem Marienplatz zu.

Jentsch stand an der Spitze von insgesamt über 6.000 Menschen, die in München gegen die Rechten demonstrierten. Gleichzeitig fand im niedersächsischen Verden eine Demonstration gegen rechts statt, zu der statt der erwarteten 1.000 Teilnehmer fast 5.000 erschienen waren. In Dortmund protestierten mindestens 2.000 Bürger gegen rechte Gewalt (siehe Kasten).

Anlass für Julia Jentschs Rede war ein Neonazi-Aufzug, zu dem sich etwa 300 Rechtsextremisten am Vormittag auf der Münchner Theresienwiese versammelt hatten. Mit Sprechchören wie „Wir sind Nazis, und was seid ihr?“ zogen sie dann Richtung Innenstadt – geschützt von rund 1.300 Polizisten. Der Aufmarsch auf der Theresienwiese hatte für besondere Empörung gesorgt, weil dort 1980 der Neonazi Gundolf Köhler ein Attentat auf das Oktoberfest verübte, bei dem 13 Menschen starben.

Unter den 88 Festgenommenen auf beiden Seiten war auch Norman Bordin, bundesweit bekannter und mehrfach vorbestrafter Neonazi, der die von der Bundesanwaltschaft als terroristische Vereinigung eingestufte „Kameradschaft Süd“ gründete und jetzt bei der NPD aktiv ist – er hatte Pfefferspray bei sich. Nicht beanstandet wurde hingegen ein Transparent, das die Rechtsrockband Landser als „deutsche Legende“ feierte – dabei war die Band vor wenigen Wochen von einem Gericht als „kriminelle Vereinigung“ verboten worden.

Bei einer Kundgebung auf dem Marienplatz bezeichnete Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) die Rechten als „Straftäter, die Minderheiten wegen ihrer Hautfarbe verfolgen, Ausländer mit Springerstiefeln treten und den Holocaust als größtes Verbrechen der Menschheitsgeschichte leugnen und Kriegsverbrechen verherrlichen“. Ein junger Punk trug ein T-Shirt mit knapperer Botschaft: „Mehr Bildung für Nazis“.

Die Aktionen in München verliefen weit gehend friedlich.

In Niedersachsen hatte das Verdener Bündnis gegen Rechtsextremismus am Samstag über 1.000 Menschen erwartet. Doch es kamen mehr als 5.000 Bürger aus dem Landkreis zu dem Aktionstag „Verden ist bunt – Nie wieder Faschismus“. Der Anlass: Die NPD und die „Freien Kameradschaften“ wollten sich am Mittag als „sozialpolitische Opposition“ unter dem Motto „Sozialabbau, Rentenklau – Nicht mit uns“ präsentieren. Ohne Erfolg: Die etwa 200 Neonazis, angeführt von dem NPD-Landesvize Adolf Dammann und Kameradschafts-Chef Thomas Wulff, trafen fast nur auf Gegendemonstranten. Die Polizei war mit 1.800 Beamten im Einsatz, ein Jugendlicher und ein Polizist wurden leicht verletzt und 13 Demonstranten in Gewahrsam genommen.

Schon am Vormittag hatten Werner Meincke vom Bündnis gegen rechts und Verdens Bürgermeister Lutz Brockmann (SPD) den Aktionstag in der Innenstadt eröffnet. „Antifaschismus darf nicht bloß ein Lippenbekenntnis sein, es bedarf Taten“, sagte Meincke. Brockmann hob hervor, dass nur ein „breites Bündnis den Neofaschismus eindämmen“ könnte. Über 100 Vereine und Gruppen veranstalteten eine Kulturmeile mit Musik, Politik und Sport. Am Nachmittag kamen in die schon überlaufene Fußgängerzone noch etwa 800 Demonstranten einer Schülerdemo gegen die NPD dazu.

Wie erklärt sich das Engagement? Das Erstarken der Rechten in der Region, meinte Brockmann, schrecke viele Menschen auf. Auf dem Fest sprachen denn auch viele Leute an Info- und Bierständen über das Neonazizentrum „Heisenhof“ im nahen Dörverden. „Wenn das geschlossen ist“, hoffte eine Frau, „dann werden die Rechten hier nicht mehr so viel machen.“ Seit Monaten versucht der Landkreis die Nutzung per Baurecht zu unterbinden, bisher vergeblich.