Arbeit am Wunder

GÖTTLICHES SKRIPT Nir de Volff performt in der Neuen Synagoge

„I want to get high“, singen alle vier und erfüllen sich diesen Wunsch

Wie ferngesteuert laufen zwei junge Leute über die Bühne. Es ist Sabbatabend in einer Stadt in Israel, die Straßen sind wie leer gefegt. Da denkt einer der beiden an seinen ehemaligen Kindergarten am Ende der Straße – ob es das alte lila Schaukelpferd wohl noch gibt? Das Holzspielzeug ist noch da, interessanter finden die beiden Eindringlinge aber nun das Spiel mit Lampions und Feuer.

Ob Gott sich das so vorgestellt hat, als er von den vier Performern um den Tänzer und Choreografen Nir de Volff in dessen neuer Produktion „Action“ gefordert hat, mal „was Richtiges“ zu machen?

Die höfischen Tänze, die die Gruppe zu Beginn im Innenhof gezeigt hatte, waren ihm schließlich zu langweilig, und deshalb hat er ein Skript geschrieben, das mit der Kindheit der Tänzer beginnt. So zündet denn Nir de Volff seinen eigenen Kindergarten an und skandiert „Burn the kindergarten“, Elik Niv erwürgt seine Großmutter, Rahel Savoldelli und Margret Sara Gudjonsdottir quälen ihre Spielkameradinnen.

Es ist das erste Mal in ihrer 150-jährigen Geschichte, dass die Neue Synagoge ihre Pforten für eine Tanz- und Theateraufführung öffnet. Mit seinem Wunsch, dort aufzutreten, habe er offene Türen eingerannt, sagt der in Berlin lebende Israeli Nir de Volff. Eigentlich, so der 34-Jährige, habe er Prostituierte von der Oranienburger Straße zum Mitwirken einladen wollen. Doch stattdessen bemühen sich die Performer nun, in den geschichtsträchtigen Mauern auf die Suche nach eigenen spirituellen Erfahrungen zu gehen. Das Ergebnis sind bisweilen amüsante Anekdoten, allesamt auf Englisch vorgetragen, und eigenwillige Kostümierungen.

Als „weder religiös noch gläubig“ bezeichnen sich alle vier Ensemblemitglieder. Die Schweizerin Savoldelli und die Isländerin Gudjonsdottir bleiben blass, während de Volff und Niv, die beiden Israelis, auf witzige Weise mit jüdischen Stereotypen spielen. Doch den Monologen fehlt es oft an jener Schärfe, mit der sich de Volffs 2004 gegründetes Label „Total Brutal“ einen Namen gemacht hat.

Nach den Erweckungserlebnissen im Synagogengarten ziehen sich die Tänzer in einen Raum im Obergeschoss zurück, dessen Dunkelheit offenbar der inneren Erleuchtung förderlich ist. „I want to get high“, singen alle vier und erfüllen sich diesen Wunsch sogleich zumindest im wörtlichen Sinn: Sie ziehen ein weiteres Stockwerk hinauf, in den Versammlungsraum der Synagoge.

Dort entledigt sich Savoldelli einiger Kleidungsstücke, Gudjonsdottir zeigt auf einem Podest autoaggressive Gymnastikübungen, und de Volff, nun mit Kippa, Schläfenlöckchen und Clownsnase angetan, referiert, sich rhythmisch vor- und zurückbeugend, über die Geschichte Israels. Die anderen werfen dazu Gummihühner auf die Bühne.

Mit dieser Anspielung auf die Speisung der Fünftausend ist das Skript offenbar am Ende angelangt, denn de Volff greift sich ein Megafon und bittet Gott um „neue Wunder“.

Und zwar richtige Wunder, nicht solche wie nach seinem Besuch an der Klagemauer vor einigen Jahren: „I wanted a rabbit, not a rabbi!“ Doch Gott liefert weder neue Wunder noch neue Szenenanweisungen.

Nicht mal ein Menschenopfer will er haben. Als Elik Niv gerade auf den Weg geschickt werden soll, bricht Gott die ganze Performance einfach ab: „Tschühüüß, macht’s gut!“

Ihn plagt wohl schon wieder die Langeweile. Und wer wollte ihm das verdenken.

BIANCA SCHRÖDER

■ „Action“. Wieder am 18. Juli, 21.30 Uhr, und am 19. Juli, 20.30 Uhr, in der Neuen Synagoge, Oranienburger Str. 28–30. Tickets unter 40 98 31 95