„Ich mach’, was ich mache“

Sie hat die erste Frauenkanzlei in Bremen gegründet, sie hat die RAF-Terroristin Irmgard Möller verteidigt, als Anwältin vertritt sie bis heute nur Frauen, sie nennt Deutschland „das patriarchale Herz Europas“: Jutta Bahr-Jendges – ein Porträt

Geschichte geht, sagt Jutta Bahr-Jendges, „wie die Wellen in der Weser, mal auf, mal ab“„Nie über das Selbst die anderen im eigenen Geschlecht vergessen“

Drei Tage nach dem Abi war sie weg. „Weg vom Niederrhein, ab nach Süddeutschland.“ Wenn Jutta Bahr-Jendges aus ihrem Leben erzählt, dann klingt es so, als habe sie immer schon ziemlich gut gewusst, wo’s lang geht. Die Bremer Rechtsanwältin, Notarin, politische Aktivistin, Mitherausgeberin und Autorin der feministischen Rechtszeitschrift Streit hätte eigentlich Journalistin werden sollen – haben die Menschen um sie herum gedacht, und es hätte auch gepasst: Ihr Vater war Verlagsleiter einer Tageszeitung. Aber auch seinetwegen kam alles ganz anders. „Ich bin eine Tätertochter“, sagt sie, „ich habe die Vergangenheit meines Vaters abgearbeitet.“ Die Zeitung des Vaters ließ sich im Nationalsozialismus mit dem Völkischen Beobachter gleichschalten. Jutta Bahr-Jendges wird nicht Journalistin, sie studiert Jura. „Um zu verstehen, und um es besser zu machen.“ Und von Beginn an ist klar: Sie will Anwältin werden.

Als solche vertritt Jutta Bahr-Jendges ausschließlich Frauen. In den inzwischen 31 Jahren, in denen sie ihre Kanzlei betreibt, hat sich daran nichts geändert. „Da bin ich so richtig Dinosaurierin“, sagt die Juristin. Und: „Da bin ich altmodisch.“ Letzteres sagt sie oft, stolz und mit einem Lächeln in der Stimme.

Begonnen hat Jutta Bahr-Jendges 1974: Gemeinsam mit Sybille Tönnies, inzwischen Publizistin und Rechtsprofessorin im Ruhestand, eröffnet sie die erste Frauenkanzlei in Bremen. Nach Bremen gekommen war Jutta Bahr-Jendges mit ihrem Mann. Der Mann ist längst weg, Bahr-Jendges ist geblieben.

Sie wird politische Strafverteidigerin. Bei den Stammheim-Prozessen vertritt sie Irmgard Möller, die 1976 als RAF-Terroristin verurteilt wird und später als einzige überlebt, als ihre Mitgefangenen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe sich nach offizieller Version das Leben nahmen. „Schreiben Sie: zu Tode kamen“, sagt Jutta Bahr-Jendges.

„Ich kannte viele Kolleginnen in Stammheim“, erzählt sie, „ich war sehr beeindruckt von ihrer Geradlinigkeit.“ Als sich die Anwältin bei den Kontrollen in der JVA ausziehen soll, „habe ich mich geweigert. Damit war die Verteidigung beendet.“ Und für Jutta Bahr-Jendges auch das Kapitel politische Strafverteidigung. Sie war schwanger – „und mir war klar, ich betrete Stammheim nie wieder.“

Bahr-Jendges bleibt politisch engagiert, sie gründet das Netzwerk feministischer Juristinnen mit Kolleginnen in Berlin, Hamburg, Frankfurt. Sie ist Mitgründerin des autonomen Frauenhauses in Bremen, sie ruft die „Frauen in Schwarz“ in Bremen ins Leben, sie meldet sich öffentlich zu Wort, wenn es um mehr Rechte für Väter geht – was Bahr-Jendges sehr kritisch kommentiert –, oder wenn es um die Abschaffung der Quote geht – was Bahr-Jendges für einen Fehler hält. „Frauenrechte sind nicht nur sträflich vernachlässigt, sondern mit Füßen getreten worden“, sagt sie, und dass sich daran zwar einiges zum Guten, inzwischen aber auch wieder zum Schlechten verändert hat: „Wir erleben einen absoluten Flashback.“

Deshalb findet sie – altmodisch? – auch das EU-Gleichstellungsinstrument Gender Mainstreaming schlicht daneben. Gender Mainstreaming bedeutet, bei jeder Entscheidung die Lebenssituationen und Interessen von Männern und Frauen gleichermaßen zu berücksichtigen. Klingt doch prima, warum so kritisch, Frau Bahr-Jendges? „Ganz einfach: Weil es nicht die Zeit ist.“ Weil Frauen noch lange nicht gleichberechtigt sind und deshalb ein Instrument, das männliche und weibliche Interessen gleichermaßen berücksichtigt, nicht angesagt ist. Bahr-Jendges sagt es schärfer: „Gender Mainstreaming ist dann eine Gefahr, wenn dieses Gleichgewicht nicht erreicht ist – dann kippt es, zugunsten patriarchaler Strukturen.“ In anderen Ländern mag das anders aussehen, aber für dieses Land stellt die Anwältin fest: „Deutschland ist das patriarchale Herz Europas.“

Dass Bahr-Jendges, die „sozialistische linke 68-erin“, wie sie sich selbst nennt, damit eher bei den älteren, weniger bei den jüngeren Frauen Zustimmung findet, weiß sie. Sie lächelt, warm, aber auch ein bisschen unnahbar. „Die Hoffnung, die ich hatte, dass wir fundamental was ändern können, die habe ich nicht mehr.“ Aber die „Sandkörnchen“, die Menschen wie sie oder Bewegungen wie Attac dem Mainstream in den Weg streuen, „die sind sehr wichtig.“ Jutta Bahr-Jendges bleibt gelassen. „Ich tröste mich im Moment mit Vorbildern aus alter Zeit, die auch erlebt haben, wie die Geschichte ihren Gang geht.“ Mit Anita Augspurg zum Beispiel, einer der führenden Frauenrechtlerinnen Anfang des 20. Jahrhunderts, die 1933 von einer Reise nicht ins inzwischen nationalsozialistische Deutschland zurückkehrte und 1943 im Exil starb. Geschichte geht, sagt Jutta Bahr-Jendges, „wie die Wellen in der Weser, mal auf, mal ab.“

Doch das Ab registriert Bahr-Jendges aufmerksam. „Was ich im Familiengericht erlebe, ist oft wie vor 20 Jahren: ein Vater, der sich vor Gericht Gedanken macht, wird sehr geschätzt – aber vielleicht tut er gar nichts. Mütter hingegen müssen sich unheimlich anstrengen, dass ihre Leistung gesehen wird.“

Diskriminierung hat Jutta Bahr-Jendges am eigenen Leib erfahren. Als sie sich ihre Tochter zum Stillen ins Gericht bringen lässt – „ich habe natürlich weitergearbeitet“ – weigert sich der Richter, ihr eine Verhandlungspause zu bewilligen. Als sie mit zwei Kolleginnen im Gericht auf eine Verhandlung wartet, tönt plötzlich eine Stimme aus dem Lautsprecher: „Wo bleiben denn die Anwälte?“. Richter wenden sich von ihr ab und anderen, Männern, zu. Sie muss sich Gehör verschaffen, deutlich, mehrfach, artikuliert – Ergebnis: „Ich wurde als Zicke behandelt.“

Jutta Bahr-Jendges schüttelt den Kopf, schweigt kurz und sagt dann mehr zu sich als zum Gegenüber: „Ich kämpfe mich überall durch, ich lasse mir nichts sagen. Egal, was die mir sagen: Ich mach’, was ich mache.“

Noch bis sie 70 ist, will sie als Anwältin arbeiten. Dann soll das Schreiben kommen. Geschichte, Gedichte und ihre Memoiren. Und der Garten. „Da freue ich mich drauf“. Was würde sie anderen Frauen sagen, wenn die sie nach einer Maxime, einem roten Faden fragten? „Drei Dinge. Nicht nachgeben. Nie die Selbstständigkeit aufgeben. Nie über das Selbst die anderen im eigenen Geschlecht vergessen.“

Susanne Gieffers