Zar mit Vogel

Vom nur manchmal erfolgreichen Versuch, Anton Tschechow und Jon Fosse Leben einzuhauchen: Die Reihe „Junge Regisseure 2005“ am Schauspielhaus offenbarte stark variierende Niveaus

von Caroline Mansfeld

So viel gerupftes Federvieh war selten: Die Studenten im Studiengang Schauspieltheater-Regie der Universität Hamburg waren, unter anderem von Dozent Falk Richter, für ihr drittes Studienprojekt aufgerufen, sich an Tschechows Möwe zu versuchen, präsentiert am Schauspielhaus im Rahmen der Reihe „Junge Regisseure 2005“.

In Martin Baierleins Möwe zum Beispiel regiert zunächst das Chaos, wildes Durcheinanderdeklamieren von Texten. Tschechow reloaded und optisch angereichert durch eine Sammlung aus der Vogelabteilung des zoologischen Museums. Inhaltlich versetzt mit allerlei Skurrilitäten aus Freuds Neurosenkabinett. Wiebke Mauss als Arkadina – hysterische Furie mit Schnappatmung – ist da zum Beispiel zu sehen. Dann wieder Jonas Vietzke als verlorener Poet Kostja. Ein sympathisch ungeordneter, aber mutig gelungener Versuch, Tschechows Text wieder lebendig zu machen.

Das lässt sich von Katrin Andresens Möwe leider nicht behaupten. Wo Baierlein den Text anpackt und ihm mit Ausdrücken wie „Am Po der Provinz“ Frische verleiht, bleibt es hier beim Aufsagen. Das Personal bewegt sich um ein Bassin mit Metallstegen herum und bricht gelegentlich in hektisches Spiel aus. Und sucht – von wenigen Ausnahmen abgesehen – bis zuletzt nach der eigenen Überzeugungskraft.

Eine fast schon verdächtige Stadttheaterreife liefert dagegen Regisseurin Cilli Drexel: Sie hat aus Tschechows Stück eine konventionelle, gleichzeitig hochironische Komödie gemacht. Ihr Ensemble hat sie auf einer Wiese aus Äpfeln in Zweier- und Dreiersituationen aufeinander gehetzt und so eine große Tiefenschärfe erzeugt. Eine Entdeckung ist dabei Sven Fricke, der den Kostja als Schlingensief-Parodie gibt.

In puncto Gegenwartsdramatik hat sich indessen Regisseurin Pia Maria Gehle mit ihrer Version von Olge & Wladimir Presnjakows Terrorismus profiliert. Mit einem Ensemble, das sich von Szene zu Szene in Rage spielt, führt sie eine packende Vision des alltäglichen Wahnsinns vor Augen: Ehebruch, Leistungsdruck mit Selbstmordfolge oder die Probleme der Feuerwehr bei der Brandbekämpfung reichen da völlig aus. Herausragend wandlungsfähig: Alexander Wipprecht als Mann mit Koffer. Sehr komisch: Nadine Nollau als Bürofrau, Oma und Stewardess.

Und schließlich: Dépannage/Pannenhilfe, verfasst von der Französin Pauline Sales, in Szene gesetzt von Elisabeth Rech, geriet zur verunglückten Splatterfarce auf das Zusammentreffen eines Schwesternpaars samt krankem Großvater und einem Gangsterduo an einer Tankstelle. Zwischen Reifen und Autowracks kämpfen sich die Darsteller durch manch unfreiwillige Komik, die im Auftreten eines „Zaren“ mit dressiertem Vogel gipfelt. Wenig gelungen wirkte auch der Versuch von Friederike Czeloth, Jon Fosses Zweierdrama Winter Leben einzuhauchen. Eine also qualitativ durchwachsene Präsentation des Theaternachwuchses, der genauso wenig wie die Arrivierten zur konstanten Brillanz verpflichtet ist.