Von vier Nummern verhaftet

Antifaschist wurde wegen Landfriedensbruchs zu Haft verurteilt. Rechtskräftig ist das nicht, im Knast sitzt er dennoch. Bei Demo in Dresden fiel er Zivilbeamten auf

Im Umgang mit linken Demonstrationen hält sich die Berliner Polizei mit wachsendem Erfolg an ihr „Konzept der ausgestreckten Hand“. Statt wegen jeder Kleinigkeit einzugreifen, übt sie sich in fast vornehmer Zurückhaltung. Gerät aber ein echter oder vermeintlicher Straftäter ins Blickfeld, schlagen Polizei und Ermittler umso erbarmungsloser zu. Mit am schwersten getroffen hat es bisher Christian S.

Der 35-Jährige ist bekennender Antifaschist – und beteiligt sich regelmäßig an Protesten gegen Nazis. Im Jahr 2000 war er wegen eines Steinwurfs am Rande einer NPD-Demo Unter den Linden zu eine Bewährungsstrafe verurteilt worden. Kurz vor dem Ablauf der Bewährungszeit kam ihm der 1. Mai 2004 dazwischen. Da zündelte er in Friedrichshain an einem geparkten Pkw. Dies und weitere brennende Barrikaden führten damals zum Abbruch des NPD-Aufmarschs, dem die Polizei bis dahin trotz zahlreicher Gegenproteste den Weg freigeräumt hatte.

S. begründete die Tat vor Gericht als letzten Ausweg, um die Nazis zu stoppen. Die Richter hatten kein Erbarmen und verurteilten ihn im Dezember zu drei Jahren Haft. Der Staatsanwaltschaft war das noch nicht hart genug, sie ging – wie der Angeklagte auch – in Berufung. Christian S. blieb bis auf weiteres auf freiem Fuß, weil die Strafe noch nicht rechtskräftig ist. Doch er hockt schon wieder in einer Sechs-Quadratmeter-Zelle im Moabiter Untersuchungsgefängnis. Gestern erneuerte ein Richter den Haftbefehl.

Denn am 13. Februar hatte S. erneut gegen Neonazis demonstriert – diesmal in Dresden, wo Zehntausende anlässlich des 60. Jahrestages des Bombardements der sächsischen Landeshauptstadt auf die Straße gingen und auch ein Zeichen gegen den anwachsenden Rechtsextremismus setzen wollten. Wegen erwarteter Randale waren auch Polizeibeamte aus Berlin zur Unterstützung ihrer Kollegen angefordert worden – darunter einige Zivilbeamte. Die wollen beobachtet haben, dass Christian S. eine Flasche auf räumende Polizisten geworfen habe. Eine andere Einheit aus Berlin nahm nach entsprechenden Hinweisen den Politaktivisten rund eine halbe Stunde später etwas abseits der Protestroute fest.

Christians Anwältin, Silke Studzinsky, sagt zum weiteren Geschehen: „In Dresden stellte die zuständige Richterin dann einen Haftbefehl aus, der nur auf den Aussagen der zivilen Ermittler beruht. Das Ungewöhnliche dabei ist, dass die Identität der Männer nirgends in den Akten vermerkt ist. Sie tauchen nur codiert auf.“ Statt Namen stehen dort nur die Nummer 56765, 56766, 33766 und 33765. Das sind nicht die üblichen Dienstnummer der Beamten.

Ob Christian S. Teilen der Berliner Strafverfolgungsbehörden als herausragende Persönlichkeit der linken Szene in der Hauptstadt besonders im Visier war, ist noch offen. Michael Grunwald, Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft, sagt: „Über die Hintergründe der Festnahme in Dresden ist mir nichts bekannt.“ Er bestätigte aber, dass die Berliner Justiz das Verfahren jetzt von dort übernommen hat.

Nicht ganz so zügig kam der Gefangene S. an die Spree zurück – obwohl die Staatsanwaltschaft das beantragt hatte: Bis Moabit durchlebte Christian eine mehrwöchige Odyssee mit Stationen wie Bautzen, Cottbus, Frankfurt/Oder und Spremberg. Und in Berlin gehen die Schikanen weiter: Öffnen von Anwaltspost bei Zellendurchsuchungen und verzögerte Telegramm- und Zeitschriftenausgabe sind nur Beispiele aus seinem Haftalltag.

TOBIAS VON HEYMANN