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Kein zweites Caroline-Urteil: Der Straßburger Gerichtshof für Menschenrechte betont die Pressefreiheit

Wer in die Politik geht, muss harte Kritik einstecken können. Diesen Grundsatz hat jetzt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) betont. Sein Urteil, in dem die Ukraine kritisiert wird, stärkt die Pressefreiheit in ganz Europa. Auch wenn sich ein Politiker von polemischen Artikeln beleidigt, ja sogar geschockt fühlt, so heißt es in der Entscheidung, sei dies kein Grund, gegen eine Zeitung vorzugehen. „Solche Belastungen muss ein Politiker in einer demokratischen Gesellschaft akzeptieren“, erklären die Richter. Das sei nun mal die Folge seiner Berufswahl.

Geklagt hatte die ukrainische Tageszeitung Der Tag. Im Präsidentschaftswahlkampf 1999 hatte sie wenig schmeichelhafte Porträts des kommunistischen Kandidaten Petro Symonenko und der linksradikalen Bewerberin Natalia Witrenko veröffentlicht. Beide gingen juristisch gegen die Zeitung vor, weil sie die Berichte für „unwahr und ehrverletzend“ hielten. Ukrainische Gerichte sprachen den Politikern daraufhin eine finanzielle Entschädigung zu, weil die Zeitung nicht die „Wahrheit“ ihrer Vorwürfe belegen konnte. Dagegen stellte der Straßburger Gerichtshof für Menschenrechte jetzt klar, dass für Werturteile kein Wahrheitsbeweis verlangt werden kann. Die Ukraine muss deshalb der Zeitung 30.000 Euro Schadensersatz zahlen.

Das am Dienstagnachmittag veröffentlichte Urteil fiel einstimmig. Der EGMR war zuletzt in die Kritik geraten, weil er die Persönlichkeitsrechte von Prominenten wie Caroline von Hannover gegen Paparazzi gestärkt hatte. Deutsche Verleger warfen den Richtern daraufhin vor, sie hätten ein gestörtes Verhältnis zur Pressefreiheit. Dem wollte das Straßburger Gericht mit seinen betont pressefreundlichen Worten jetzt offensichtlich entgegentreten. CHRISTIAN RATH