berliner szenen Schaumgummi im Ausland

Versohlen statt morden

Während meiner Fahrt zum Club „Ausland“ flitzte rechts das grelle Humana-Schaufenster an mir vorbei. Es war voll gehängt mit hellgelben, puffärmeligen Ballkleidern. Das weckte Erinnerungen in mir. So ein Kleid trug meine Ex-Schlagzeugerin, als sie einst auf einer Party randalierte. Sie hatte sich den ganzen Abend der Beschäftigung hingegeben, das Tischfußballspiel zu stören. Statt sportlich zu kurbeln, hob sie fortwährend den Tisch mit beiden Armen von unten hoch und kippte ihn, sodass der Ball wegrollte. Sie stieß dabei laute Schreie aus. Am nächsten Tag glaubte sie, eine unheilbare Krankheit zu haben, die mit starken Schmerzen in Armen und Schultern beginnt.

Im Ausland hatte das Konzert schon begonnen. Paul, ein Künstler aus New York, sang in einer Band, die Schaumgummi hieß. Nach dem Konzert setzte er eine Brille mit schwarzem Rand auf und kündigte seinen Film an. Der handelte von einer Verkäuferin, die Heiligabend Schicht in einem Sexshop hatte. Freunde und Angehörige kamen zu Besuch, sprachen über Sex und Weihnachten, verliebten sich ineinander und erlebten eine Menge ulkiger Sachen, die mit den Artikeln in den Regalen zu tun hatten. Am Ende wollte ein enttäuschter Kunde ein Selbstmordattentat im Laden verüben, um seiner Wut darüber Ausdruck zu verleihen, dass keines der Produkte Wirkung gezeigt hatte. Die Belegschaft versuchte, schnell noch seine Neigungen herauszufinden, versohlte ihn und stimmte ihn um. Erfolgreich.

Paul fragte mich, ob er ans Mikro gehen und Publikumsfragen beantworten sollte. Ich sagte, ich glaubte nicht, dass die Leute welche hätten. Sie hatten auch keine, aber ich hatte mich mit der Antwort ins gesellschaftliche Off katapultiert. KATHARINA HEIN