„Die EU enttäuscht die Proeuropäer“, sagt Žarko Puhovski

Der Schaden in Kroatien ist groß, weil Brüssel die Beitrittsverhandlungen verschoben hat. Es gelten zweierlei Maß

Frage: Herr Puhovski, Sie sind immer für einen EU-Beitritt Kroatiens eingetreten. Nun will Brüssel die Verhandlungen erst einmal aussetzen. Sind Sie enttäuscht?

Žarko Puhovski: Ich respektiere die Argumentation der EU. Allerdings wird die Entscheidung die Entwicklung Kroatiens sehr negativ beeinflussen. Ich frage mich, ob das wirklich nötig war – und warum die EU mit zweierlei Maß misst.

Wie ist das gemeint?

Vor der Erweiterung der EU im vorigen Jahr konnten wir Menschenrechtler in Kroatien eine an Brüssler Standards orientierte, bessere Minderheitenpolitik einfordern. Doch jetzt sind die baltischen Staaten in die EU integriert, die eine sehr fragwürdige Minderheitenpolitik haben. Ein anderes Beispiel: Wir konnten fordern, Bosnien und Herzegowina zu einem einheitlichen Staat zusammenzufügen – doch jetzt wurde mit Zypern ein gespaltenes Land aufgenommen, ohne die politischen Probleme zu lösen. Und wenn jetzt über die Integration von Bulgarien und Rumänien gesprochen wird, dann ist dies für mich ein Witz. Beide Länder hinken in vielen Politikfeldern hinter Kroatien her. Das gelten also zweierlei Maß.

Offenbar war Kroatien noch nicht reif für die EU – immerhin hat es sich geweigert, einen mutmaßlichen Kriegsverbrecher an das Tribunal von Den Hag zu überstellen. Hätte die Regierung den General Gotovina besser ausgeliefert?

Während des Krieges stand Franjo Tudjman als Präsident an der Spitze, Gojka Susak war Verteidigungsminister, dann kamen die Generäle Cervenko und Bobetko, der fünfte war Ante Gotovina. Alle anderen sind tot. So ist Gotovina zum wichtigsten Kroaten in Kriegsfragen geworden. Wenn aus Serbien Milošević, Milutinovićc und andere schon in Den Haag sind, auch aus Bosnien und dem Kosovo, muss eben auch einer aus Kroatien kommen.

Also ist Gotovina für Den Haag nur ein Symbol?

So ist es. Nach unseren Recherchen sind im August 1995 zirka 700 Serben ermordet worden, und zwar größtenteils nach dem Ende der direkten Kriegsoperationen. Ante Gotovina war da schon in Bosnien, als das passierte. Er hat also kein Kommando mehr innegehabt.

Wie wirkt das in Kroatien?

Ein großer Teil der Bevölkerung verteidigt Gotovina inzwischen als Patrioten. Wir haben nicht Belgrad überfallen, sondern nur Zadar und Vukovar verteidigt, heißt es. Deshalb konnten wir keine Kriegsverbrechen begehen. Das Tribunal in Den Haag erscheint als eine politische Institution, die versucht, Täter und Opfer auf eine Stufe zu stellen. Und das ist für viele Kroaten nicht akzeptabel.

Verliert die Regierung durch den „Fall Gotovina“ die Unterstützung der Bevölkerung?

Nicht allein durch ihn. Die Anti-EU-Stimmung in der Tudjman-Partei HDZ gab es schon immer. Jetzt sind aber noch andere Bevölkerungsschichten hinzugekommen. Vielen fällt es schwer, die Souveränität Kroatiens infrage zu stellen, für die so hart gekämpft werden musste. Die Bauern haben Angst vor der EU-Agrarpolitik, viele Leute in Dalmatien fürchten, dass Deutsche oder Österreicher das Land aufkaufen. Sogar Linke und Liberale sind von der EU enttäuscht. So ist in kurzer Zeit eine relativ breite Koalition von EU-Gegnern entstanden. Mit der negativen Entscheidung der EU steht Sanader also im Regen. Und einige Abgeordnete seiner Partei könnten die Gefolgschaft aufkündigen und damit die knappe Mehrheit im Parlament gefährden.

Die Regierung Sanader wollte mit Macht in die EU und hat viel getan, Kroatien vorzubereiten. Infrastruktur, Schul- und Rechtssystem wurden modernisiert. Hat Brüssel das angemessen gewürdigt?

Nein, weder die EU hat die Reformen honoriert noch die Bevölkerung in Kroatien. Sanader und die Führungsspitze der HDZ haben nach ihrem Wahlsieg 2003 alle überrascht. Sie hatten sich in der Tat von alten Vorstellungen gelöst und voll auf die Karte des EU-Beitritts gesetzt. Jetzt stellt sich das als ein taktischer Fehler heraus. Denn die Wähler dieser Partei haben die HDZ nicht ins Parlament gewählt, um die Politik der Sozialdemokraten fortzuführen oder gar eine Koalition mit der serbischen Minderheit einzugehen, wie es geschehen ist. Auch wollten die Wähler nicht mit dem UN-Tribunal in Den Haag kooperieren. Die Führungsspitze der Partei hat quasi Wahlbetrug begangen.

Gibt es also noch eine Chance für die Integration in die EU?

Für 2007 ist es zu spät. 2009 und 2012 wären die nächsten Daten. Auch Serbien, Bosnien, Kosovo, Montenegro und Mazedonien wollen dann Mitglied werden. Aber das ist jetzt natürlich alles unsicher. Sicher ist nur, dass die proeuropäischen und zivilen Kräfte in allen diesen Ländern politisch in die Defensive geraten sind. Doch wir als Menschenrechtler müssen weitermachen. Immer noch gibt es Probleme mit der Rückkehr serbischer Flüchtlinge. Zwar sind es nicht mehr tausende von Serben wie vor ein paar Jahren, sondern noch ein paar hundert, die Schwierigkeiten haben, ihr Eigentum zurückzuerhalten. Ein größeres Problem bilden die Roma, die systematisch ausgegrenzt werden. Da unterscheidet sich Kroatien aber nicht von anderen europäischen Staaten.

INTERVIEW: ERICH RATHFELDER