Ein Wasserbordell von Colani

Friedrichshafen am Bodensee hat Millionen in ein Projekt gesteckt, von dem keiner genau weiß, was es werden soll: Thermalbad oder Esoterikertempel? Klar ist: Der Investor heißt Kurt Eicher und ist Esoteriker. Unklar ist: Hat er überhaupt Geld?

Luigi Colani war es, der vom Wasserbordell sprach, Friedrichshafen „zum Vibrieren“ bringen wollte und die Bürger zu der Frage trieb, ob bei ihnen nun „massenhaft Kopulationen“ geplant seien

VON JOSEF-OTTO FREUDENREICH
UND WOLFGANG MESSNER

Seine Welt ist voller Wunder. Er glaubt an Elfen, Feen und Zwerge, und dass sein Ficus Benjamini die Blätter hängen lässt, macht ihm Kummer. Zwei Monate hat er nicht mehr mit ihm gesprochen, weil er so lange durch Südamerika gereist ist. Das tut der sensiblen Pflanzenseele weh. Dafür sieht Kurt Eicher gut aus. Braun gebrannt ist er. Das zum Zopf gebundene Haar verleiht ihm etwas Abenteuerlustiges. Das offene weiße Hemd und die Bally-Slipper passen nicht ganz in die Winterlandschaft, aber vielleicht wärmen ihn noch die Dschungeltour und die Delphine, von denen er sich gern inspirieren lässt. Sie hätten so viel Freude am Leben, sagt er. Wie er. Auf dem Dach seiner Firma in Zürich-Regensdorf thront eine Pyramide. Sie verleiht die Energie dazu.

Eicher, 57, ist Esoteriker. Das wäre nicht weiter von Bedeutung, weil es davon viele gibt. Er ist aber auch Bauunternehmer und als solcher angetreten, der Stadt Friedrichshafen eine Einrichtung zu bescheren, die wechselweise als Thermalbad, Sektentempel oder als Wasserbordell bezeichnet wird.

35 Millionen Euro soll sie kosten, im Vorort Fischbach im Naturschutzgebiet am See stehen und von Luigi Colani gestaltet werden. Der dynamische Designer, der die runden Formen liebt, war es auch, der vom Wasserbordell sprach, die Stadt „zum Vibrieren“ bringen wollte und die Bürger zu der sorgenvollen Frage trieb, ob bei ihnen nun „massenhaft Kopulationen“ geplant seien.

Aber das ist nur ein Akt in einer kommunalen Groteske, die vor neun Jahren ihren Anfang nahm. Mit 90 Prozent Sicherheit, so hieß es im Jahr 1996, werde man beim Bohren auf Thermalwasser stoßen. Ein Jahr später verspricht der Bäderprofessor Heinz Rico Scherrieb 500.000 Besucher im Jahr, was so hoch gegriffen ist wie sein Titel. Der Professor ist gerichtsfest falsch, sein Gutachten gilt aber heute noch als richtig.

Auf diesem Boden, kündigt Eicher 1999 an, werde er ein Freizeitbad mit Therapie- und Heilzentrum errichten, zusammen mit dem Architekten Professor Colani. Der ist zwar nur beratender Professor für Industriedesign an der Schanghaier Tongji-Universität, aber für Autogrammwünsche im Friedrichshafener Stadtrat hat es immer noch gereicht. Laut Eicher synchronisiert der „sensationelle Künstler“ wie kein Zweiter die linke und die rechte Hirnhälfte. Colani bastelte ihm den Entwurf im Handumdrehen, und Eicher erhielt den Zuschlag. Damit werde das Wasser als „Quelle des Lebens“ erleb- und erfahrbar, frohlockten die Stadtväter. (Dasselbe erhofft man sich im Harzstädtchen Blankenburg, wo Eicher dasselbe Projekt plant, keine Finanzierung vorgelegt und keine Landeszuschüsse erhalten hat.)

Nun hat der Züricher Ingenieur noch nie ein Bad, nur Häuser, Brücken und eine Sternwarte gebaut, dafür aber hat er einen überaus fachkundigen Kreis von Beratern. Der wichtigste ist sein Freund Rüdiger Dahlke, 53. Der Mediziner ist ein Star in der schillernden Welt der Esoterik, Bestsellerautor („Aggression als Chance“), Herausgeber der Zeitschrift „Esotera“, Anhänger der Lichtnahrung, die den Kühlschrank ersetzt und bereits Todesopfer gefordert hat. Eicher sagt, es sei Sache jedes Einzelnen, wo er sein Glück suche. Der Rüdiger habe im Übrigen einen Tagessatz zwischen zehn- und zwanzigtausend Euro, wenn er bei großen Unternehmen wie der Swisscom vortrage. Dahlke sagt, der Kurt habe sein Leben komplett verändert und zur „sinnlichen Spiritualität“ gefunden, nachdem er auf den Bahamas mit Delphinen gespielt habe.

Als Spezialisten für „Geomantie“, eine Art Landschafts-Feng-Shui, preist Eicher den Slowenen Marko Pogacnik, 61. Der Bildhauer reist als „Erdheiler“ durch die Welt. Er hat während des Elbehochwassers 2002 mit der Flussgöttin geredet und von ihr zu hören gekriegt, dass sie mit der Flut eine neue Zivilisation schaffen wollte. In Pogacniks Umfeld sagt man „auserwählte Lichtrasse“ dazu.

Ein noch berühmterer Eso-Guru ist der Japaner Masaru Emoto, der auch mit dem Wasser spricht und herausgefunden hat, dass es die Qualität wechselt, je nachdem, ob es mit Adolf Hitler oder Mutter Teresa konfrontiert wird. Und weil diese spirituelle Wasseraufbereitungsanlage für ihn eine „sensationelle Botschaft“ war, hat ihm Eicher flugs ein Labor in seiner Firma eingerichtet und den Verein Wise Crystal gegründet, in dem sich alle wiederfinden: Emoto als Präsident, Eicher als Vize und Dahlke als Beirat. Den Club der Wasserbeschwörer gibt es heute nicht mehr. Emoto sei so prominent geworden, erzählt Eicher, dass Zürich wohl zu klein für ihn geworden sei, und ohne eine solche Führungsfigur gehe es nicht.

Den Beraterstab komplettiert der Chinese Prof. Dr. Jes T. Y. Lim, der Feng-Shui-Spezialist für Beziehungsfragen. In seinen Seminaren lehrt er taoistische Liebespraktiken. Mit seinem Pendel forscht er nach dem kosmischen Qi, der Energie des Bodens.

Es waren die Grünen im Stadtrat, die stutzig wurden und vor Weihnachten 1999 vor „sektenartigen Strukturen“ warnten. Sehr zum Ärger des damaligen Oberbürgermeisters Bernd Wiedmann (CDU), der Eicher als „seriösen Geschäftsmann“ lobte, den Vorwurf als „übelsten Rufmord“ geißelte und nach einem ausführlichen Gespräch mit dem Schweizer zu der Erkenntnis gelangt war, dass Eicher die Menschen nicht abhängig, sondern unabhängig machen wolle. Wiedmann sei eben eine „sensationelle Persönlichkeit“ gewesen, erinnert sich Eicher. Der habe Visionen gehabt.

Daran erinnern sich auch die Dezernenten im Rathaus, die zur Weihnachtszeit mit wundersamer Literatur beglückt wurden. Mit den besten Empfehlungen ihres Chefs, dem es besonders die „Positive Aktion – Das Napoleon-Hill-Prinzip“, angetan hatte, eine Art Jahreskalender, das für jeden Tag eine Losung bereithält. Wie zu hören ist, hat Wiedmann seinen Untergebenen empfohlen, das Werk auf dem Nachttisch zu deponieren und jeden Abend Gewissenserforschung zu betreiben, ob das heutige Datum eine besondere Bedeutung hat. Napoleon Hill ist ein so genannter Positivdenker, der die Menschen in gute (mit positiven Gedanken) und schlechte (mit negativen) einteilt. Soziale Faktoren sind unbedeutend, ob man arm ist oder reich, glücklich oder traurig, hängt allein von der inneren Einstellung ab. Christdemokrat Wiedmann findet, das Buch sei „alles andere als esoterisch anrüchig“.

Mag sein, dass die Leute in Friedrichshafen schlechte Gedanken hatten. Tatsache ist, dass sie nun gegen das Projekt Sturm liefen. Im Jahr 2001 wurde Wiedmann abgewählt, 2003 stimmten 62 Prozent im Rahmen eines Bürgerentscheids gegen das mittlerweile „Colani-Bad“ genannte Freizeitatoll, allerdings vergeblich, weil das Quorum von 30 Prozent der Wahlberechtigten knapp verfehlt wurde. Nachfolger Wiedmanns wurde der Sozialdemokrat Josef Büchelmeier, auf den die Widerständler ihre Hoffnungen setzten, weil die SPD auf ihrer Seite war. Die Hoffnung trog. Baubürgermeister Dieter Hornung (CDU) zog, unterstützt von der schwarzen Mehrheit im Rat, weiter die Strippen.

Eicher bekennt, dass ihn Hornung, den Eingeweihte als heimlichen Oberbürgermeister sehen, gedrängt habe, eine Erklärung zu unterschreiben. Dort sollte er versichern, nicht Mitglied von Scientology oder einer anderen Sekte zu sein. Und auch seine Klage gegen das Wochenblatt, das ihm vorwarf, mit „okkultem Wirrsinn“ Kasse machen zu wollen, sei ihm nahe gelegt worden, berichtet Eicher. Der Prozess endete mit einem Vergleich und einem Gespräch mit dem Chefredakteur, „der mich verstanden hat“, sagt nun der Kläger. Fortan hatte die Wochenblatt-Redakteurin, die Eicher durchleuchtete, Schreibverbot in dieser Sache. Die einzige kritische öffentliche Stimme war tot.

Der See ruhte still, die Stadt plante munter weiter, bohrte nach Thermalwasser, das sie zwar fand, aber weniger warm als herbeigesehnt, holte Gutachten um Gutachten ein und bewegte sich so auf Vorlaufkosten zu, die amtlicherseits auf 1,8 Millionen Euro beziffert werden, nach anderen Schätzungen aber mindestens das Doppelte betragen. Ob Eicher die Bausumme von schätzungsweise 35 Millionen würde finanzieren können, interessierte so wenig wie die Frage, was eigentlich unter dem Dach des „Colani-Bads“ passieren sollte. Warum auch, nachdem Eicher versicherte, er wolle sich keine goldene Nase verdienen, er habe schon eine. Hornung meint lapidar, er frage einen Investor weder, woher er sein Geld habe, noch, ob er katholisch sei.

Wenn man mit Eicher über seine Vermögenslage redet, wird die Nase etwas blasser. Eine Finanzierung in dieser Größenordnung gehe „nicht auf Abruf“, räumt er ein, dazu müsse er Investoren finden oder einen Fonds auflegen. Das könne er aber erst, wenn er Rechts- und Planungssicherheit habe. Neu ist ihm die Auskunft der Hamburger Unternehmensprüfer Bürgel, die ihm nur einen Höchstkredit von 49.000 Euro zubilligen wollen. Dies sei „schlecht recherchiert“, sagt Eicher. Das könne sich nur auf sein Generalunternehmen beziehen. Er verfüge jedoch über Immobilien im Anlagewert von 50 Millionen Euro, außerdem lägen auf seinen Konten stets zwischen 500.000 und 1 Million Euro. Der Stadt genügte es offenbar, wie auch seine wolkigen Aussagen zum Badkonzept. Wellness und Gesundheit will er anbieten, die Gäste sollen miteinander plaudern, und wer bleiben will, könne in einem der 100 Hotelzimmer übernachten, in denen die „Vision des Heilungsbiotops“ gestaltet werden soll. Es gebe noch kein detailliertes Konzept, gesteht er. Klar sei nur, dass nicht „arztpraxismäßig“ und nicht für Kassenpatienten gearbeitet werde.

Licht- und Reinkarnationstherapien mag er nicht ausschließen. Warum auch? Rund um den Bodensee wimmelt es nur so von Geistheilern und Schamanen, die längst auch Einzug in Kirchen und Volkshochschulen gehalten haben. Wer mag, kann sich spirituell-politisch weiterbilden, und den Holocaust bei der Singener Ingeborg-Gebert-Heiß-Stiftung „aus der Sicht der Reinkarnation“ erklären lassen.

Stimmt es also doch, was die Bürgerinitiative Uferzone Fischbach behauptet? Eicher plane ein Zentrum für die Esoterikerszene, die seit der Schließung ihrer Pilgerstätte Etora auf Lanzarote heimatlos ist? Da lacht der Exkatholik, der von sich sagt, er habe seine eigene Religion. Er sei auch schon auf Lanzarote gewesen, aber das sei einer der vielen Kampfbegriffe seiner Gegner. Das Unbekannte sei immer mit Ängsten besetzt.

Offensichtlich gilt das auch für Oberbürgermeister Büchelmeier, 57. Er hat zwar nie verstanden, warum die CDU in unverbrüchlicher Treue zu Eicher hielt, aber er hat auch geschwiegen, seinen Stellvertreter und Machiavelli-Fan Hornung schalten und walten lassen und nur verdeckt ermittelt. Heute ist dem Sozialdemokraten die Zusammenarbeit als unfassbar.

Büchelmeier steht am Fenster seiner Wohnung am Seeufer, den Blick auf den Säntis gerichtet. Er ruft sich noch einmal die absurde Situation in Erinnerung: Es ist seine Stadt, die ein Millionenprojekt mit einem Elfenfreund plant, der nicht offen legt, was er bauen will, was er damit vorhat und womit er es bezahlt. Jetzt hat er genug. „Wenn etwas so unseriös ist“, sagt der frühere Religionslehrer Büchelmeier und holt tief Luft, „dann will ich den Ausstieg.“ Er ahnt, welche Kämpfe dieser Satz mit sich bringen wird.